Rätselhaftes Relikt: In Israel haben Archäologen einen bisher einzigartigen prähistorischen Dolmen entdeckt. Denn der Deckstein dieses rund 4.000 Jahre alten Steingrabes ist an seiner Innenseite mit seltsamen Ritzsymbolen bedeckt. Was sie bedeuten, ist bisher unbekannt. Die enorme Größe des Dolmen, seine hierarchische Struktur und diese Symbole machen das Großsteingrab zu einem ebenso rätselhaften wie einmaligen Fund, wie die Forscher erklären.
Die prähistorischen Großsteingräber oder Dolmen bestehen meist aus gewaltigen unbehauenen Steinblöcken, die auf einem Grabhügel stehen oder Teil eines Steingrabes bilden. Typisch für diese Bauten ist ihre tischartige Form mit einem großen, flachen Deckstein, der auf kleineren, aufrechtstehenden Tragsteinen ruht. Archäologen vermuten, dass zumindest einige Steingräber nach astronomischen Gesichtspunkten ausgerichtet wurden.
Obwohl Dolmen vor allem aus Europa bekannt sind, gibt es auch im Norden Israels am Fuß der Golanhöhen ein Dolmenfeld. Die rund 400 Steingräber des Shamir-Gräberfelds stammen aus der Bronzezeit und sind rund 4.000 Jahre alt. Einer dieser Dolmen jedoch hat sich nun als etwas ganz Besonderes entpuppt, wie Gonen Sharon vom Tel Hai College und seine Kollegen berichten.
Ungewöhnlich groß und komplex
Die erste Besonderheit ist die Größe des Steinbauwerks: Der Dolmen hat einen Durchmesser von 20 Metern und besteht aus mindestens 400 Tonnen Gestein. Allein der Deckstein wiegt mindestens 50 Tonnen, wie Sharon berichtet. Diese Ausmaße machen den Dolmen zum bisher größten bekannten Bauwerk dieser Art im Nahen Osten.
Ebenfalls ungewöhnlich ist die Struktur des Dolmens: „In diesem gewaltigen Tumulus haben wir vier Unterkammern, die zusammen errichtet wurden“, berichtet Sharon. Diese vier kleineren Dolmen umgeben das große Steingrab wie symmetrische Ableger. „Ein solcher hierarchisch gegliederter Dolmen ist noch nie zuvor im Nahen und Mittleren Osten entdeckt worden“, sagt der Forscher.
Rätselhafte Bögen und Linien
Die eigentliche Sensation aber verbirgt sich im Inneren des großen Dolmens: Als Sharon und seine Kollegen die zwei mal drei Meter große Kammer betraten, entdeckten sie nicht nur menschliche Überreste, sondern auch Felskunst: Auf der Unterseite des Decksteins waren seltsame Symbole in den Basaltstein eingekerbt. Sie bestehen jeweils aus einem Bogen, der von einer senkrechten Linie gekreuzt wird.
„Für diese Motive gibt es bisher keine Parallelen“, erklärt Uri Berger von der israelischen Antikenbehörde. Zwar tauchen Bögen durchaus ab und zu auf Dolmen beispielsweise in Europa auf. Die Kombination von Bogen und Linie jedoch sei einzigartig. Generell kommen Felsritzungen und andere Dekorationen an Dolmen zwar ab und zu vor, für den Nahen Osten ist ein solcher symbolverzierter Dolmen jedoch einzigartig, betonen die Archäologen.
Symbole für die Seele?
Die Symbole scheinen nicht willkürlich in der Grabkammer angeordnet zu sein: 15 dieser jeweils rund 25 Zentimeter großen Symbole ziehen sich in einem Bogen über die Dolmendecke. Die Ausrichtung der Linien verändert sich dabei nach und nach. „Die bisher bekannten Felsritzungen auf Dolmen bilden zwar durchaus wiederholte Muster, diese haben aber keine einheitliche Ausrichtung oder schrittweise Veränderung“, erklären die Forscher.
„Die Bedeutung dieser Symbole ist ein Rätsel“, sagt Berger. Aufgrund der Platzierung der Felsbilder in einem Grab vermuten er und seine Kollegen, dass die Bögen und Linien vielleicht symbolisch für den Menschen oder dessen Seele auf seinem Weg ins Jenseits stehen.
Neuer Blick auf „dunkles Zeitalter“
So rätselhaft die Felszeichnungen im Dolmen bisher auch sind, der Fund dieses ungewöhnlichen Steingrabs wirft ein ganz neues Licht auf eine vermeintlich „dunkle Ära“ in der Levante. Vor rund 4.350 Jahren wurden die ersten großen Städte dieser Region plötzlich aufgegeben und Zeugnisse urbaner Kulturen verschwanden. Erst in der mittleren Bronzezeit, einige hundert Jahre später, begann eine Renaissance der Königreiche und Städte in diesem Gebiet.
Bisher gingen Archäologen davon aus, dass in dieser „dunklen“ Zwischenzeit alle Reiche zerfallen waren und Nomadenstämme ohne Zentralregierung dominierten. Doch der Fund des enormen Dolmens weckt Zweifel an dieser Annahme: „Um diesen gigantischen Dolmen zu errichten, waren viele Menschen und ein beträchtlicher Zeitaufwand nötig“, so Sharon. „Für die Organisation eines so großen und langdauernden Projekts muss es eine starke Regierung gegeben haben.“
Nach Ansicht der Forscher sprechen die jüngsten Funde deshalb dafür, dass das dunkle Zeitalter der levantinischen Bronzezeit möglicherweise doch nicht ganz so „dunkel“ und chaotisch war. Offenbar gab es zumindest in dieser Region Israels damals durchaus noch ein komplexeres sozioökonomisches System. (PloS ONE, 2017; doi: 10.1371/journal.pone.0172969)
(Israel Antiquities Authority, 08.03.2017 – NPO)