Todeszone mit Nachwirkungen: Schon ein kurzer Sauerstoffmangel am Meeresgrund hat überraschend langanhaltende Folgen, wie Forscher im Schwarzen Meer festgestellt haben. Selbst wenn der Sauerstoffmangel nur wenige Tage anhält, bleiben demnach Tierwelt und Mikroben über Jahrzehnte beeinträchtigt. Zudem wird am Meeresgrund nur noch halb so viel organisches Material abgebaut, wie die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.
Die Ausdehnung der sauerstoffarmen „Todeszonen“ in den Meeren wächst. Inzwischen gibt es Gebiete mit zu wenig Sauerstoff am Meeresgrund in der Ostsee, im Golf von Mexiko, im Indischen Ozean und sogar mitten im offenen Atlantik. Besonders stark betroffen ist jedoch das Schwarze Meer: Hier beginnt die Todeszone schon in 90 Metern Tiefe.
Klar ist: Für Meerestiere ist ein langfristiges Überleben in diesen sauerstoffarmen Zonen kaum möglich. Nur einige Mikroben kommen ohne Sauerstoff aus. Unklar war jedoch bisher, inwieweit auch kurzfristige Schwankungen des Sauerstoffgehalts die Lebewesen und die natürliche Zersetzung organischen Materials beeinträchtigt: Reicht schon eine wenige Tage lange „Atemnot“ am Grund, um diese Ökosysteme zu stören?
Um das herauszufinden, haben Gerdhard Jessen vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen und seine Kollegen Zonen nahe der Krim im Schwarzen Meer untersucht, in denen häufiger kurzzeitiger Sauerstoffmangel herrscht. Über mehrere Tage halten diese Bedingungen an, bevor günstige Strömungen wieder frisches, sauerstoffreicheres Wasser einspülen.
50 Prozent bleiben unzersetzt liegen
Dabei zeigte sich: Sinkende Sauerstoffwerte im Bodenwasser beeinflussen den Kohlenstoffspeicher im Meeresboden früher und über größere Flächen als bisher angenommen, und das über Jahrzehnte hinweg. Wird der Sauerstoff am Meeresboden knapp, so wird deutlich weniger organisches Material abgebaut. Als Folge sammelt sich organischer Schlamm am Meeresgrund an – was die Sauerstoffzehrung noch weiter verstärkt.
Und selbst wenn dann doch wieder Sauerstoff einströmt, bleibt dieses Material im Untergrund. „Um die Hälfte mehr Material verbleibt im Boden, wenn der Sauerstoff im Bodenwasser immer mal wieder knapp wird“, berichtet Jessen. „Sogar für die Tiere leckere Häppchen wie frisch abgesunkenes Algenmaterial, das eigentlich leicht umzusetzen ist, bleibt dann jahrzehntelang ungenutzt.“
Würmer und Muscheln verschwinden
Doch warum haben die zeitweiligen Atemprobleme des Meeresbodens so starke Auswirkungen? „Der Sauerstoffmangel verändert die Bewohner des Meeresbodens“, erklärt Jessens Kollegin Antje Boetius. Vor allem größere Bodenbewohner wie Würmer und Muscheln brauchen Sauerstoff zum Leben. Diese Tiere durchwühlen das Sediment auf der Suche nach Nahrung und beim Anlegen von Wohnbauten und mischen dabei auch Nahrung und Sauerstoff für kleinere Meeresbodenbewohner unter.
„Wird der Sauerstoff knapp, verschwinden diese Tiere“, so Boetius. „Die im Meeresboden lebenden Bakterien sind dann quasi allein für die Umsetzung des organischen Materials, die Remineralisierung, verantwortlich.“ Doch diese Mikroben arbeiten deutlich langsamer, so dass bei sauerstoffarmen Bedingungen mehr organisches Material unzersetzt erhalten bleibt. Hinzu kommt, dass anaerobe Mikroorganismen, die ohne Sauerstoff beispielsweise durch Fermentation oder Sulfatreduktion ihre Energie gewinnen, giftigen Schwefelwasserstoff produzieren, der den Abbau weiter verlangsamt.
Jahrzehntelange Folgen
Das bedeutet: Selbst wenn in einem Meeresgebiet nur ab und zu Sauerstoffmangel eintritt, kann dies das Ökosystem und die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe über Jahrzehnte hinweg beeinträchtigen und verändern. Angesichts wachsender Todeszonen sind dies keine sehr guten Nachrichten.
„Vom Schwarzen Meer können wir viel lernen, denn dort kann man die Auswirkungen von Sauerstoffmangel auf das Ökosystem Meer und seine Bedeutung auch für uns Menschen besonders gut erforschen“, sagt Boetius. „Solche Untersuchungen sind angesichts des globalen Wandels unverzichtbar, um mögliche Alarmsignale aus den Ozeanen rechtzeitig zu erkennen.“ (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1601897)
(Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, 13.02.2017 – NPO)