Geowissen

Menschheit als Material-Hamsterer

Menschengemachte Strukturen und Objekte haben seit 1900 um das 23-Fache zugenommen

Gebäude, Straßen, Fahrzeuge: Seit dem Jahr 1900 hat ist der menschengemachte Materialbestand auf der Erde um das 23-Fache angewachsen. © Yiu Cheung/ iStock.com

Gebäude, Maschinen, Infrastruktur: Auf jeden Menschen der Erde kommen durchschnittlich 115 Tonnen menschengemachtes Material – das ist das 23-Fache der Menge, die es vor gut 100 Jahren gab. Auch die Menge der Rohstoffe, wie wir für die Konstruktion und Erhaltung unserer Materialbestände entnehmen, hat sich seit 1900 verzehnfacht, wie Forscher ausgerechnet haben. Und der Trend geht weiter: In den Schwellenländern beginnt die Ära der Akkumulation jetzt erst.

Schon seit Jahrhunderten nutzen wir Menschen Rohstoffe aus Untergrund und Natur. Einen Teil davon verwenden wir zur Erzeugung von Wärme, Antrieb und Strom, den Rest jedoch wandeln wir in dauerhafte Materialbestände um: in Häuser, Straßen und Brücken, aber auch in Geräte, Maschinen und Gebrauchsgegenstände. Vor Kurzem errechneten Forscher, dass die gesamte, aus menschengemachten Strukturen bestehende Technosphäre der Erde rund 30 Billionen Tonnen wiegt.

Rohstoff-Entnahme verzehnfacht

Jetzt haben Fridolin Krausmann von der Alpen-Adria-Universität in Wien und seine Kollegen dies noch etwas präzisiert. Sie haben untersucht, wie sich die Materialbestände der Menschheit von 1900 bis 210 entwickelt haben und wie viele Rohstoffe dafür umgesetzt werden. Sie nutzen dafür Daten zur globalen Rohstoffförderung, dem Recycling und der Lebensdauer von Beständen und fütterten damit ein dynamisches Modell, das die Materialströme darstellen und ermitteln kann.

Das Ergebnis: Von 1900 bis 2010 hat die Entnahme von Rohstoffen durch die Menschheit um das Zehnfache zugenommen – von sieben Gigatonnen auf 78 Gigatonnen pro Jahr. Von diesen Rohstoffen werden heute zweieinhalbmal mehr in bestandsbildende Materialien umgewandelt als früher: 55 Prozent aller Rohstoffe nutzen wir heute, um Gebäude, Infrastruktur oder Maschinen herzustellen oder zu erhalten. Früher waren es nur 18 Prozent.

„Jahrhundert der massiven Aufstockung“

„Dieses Wachstum im Einstrom bestandsbildender Rohstoffe spiegelt ein Jahrhundert der Urbanisierung und Industrialisierung in Europa, den USA und anderen Ländern mit hohem Einkommen wider“, sagen Krausmann und seine Kollegen. „Es wurden Gebäude, Transport- und Kommunikationsnetzwerke ausgebaut, Liefer- und Entsorgungssysteme etabliert und Fahrzeugflotten und Industrien aufgestockt – sie bilden die materielle Basis der modernen Gesellschaft.“

Die Entnahme und Nutzung von Rohstoffen für bestandsbildende Materialien (hellgrün) ist in den letzten gut 100 Jahrne besonders stark angestiegen. © Krausmann et al./ PNAS

In den letzten gut 100 Jahren hat die Menschheit immerhin rund 800 Milliarden Tonnen an Materialbeständen angesammelt – das ist das 23-Fache der Menge, die es im Jahr 1900 gab. „Das 20. Jahrhundert wird oft charakterisiert als das Aufkommen der Wegwerfgesellschaft“, sagt Krausmann. „Aber paradoxerweise wäre es besser beschrieben als Jahrhundert der massiven Akkumulation oder Aufstockung.“

Metall und Beton statt Ziegel und Holz

Am schnellsten zugenommen haben die Materialbestände der Menschheit in den drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. „Dies war die Periode des Nachkriegs-Booms“, erklären die Forscher. Trotzdem aber sind die meisten heute auf der Erde genutzten menschengemachten Materialbestände deutlich jünger. Der Grund dafür ist die ständige Erneuerung vor allem der Infrastrukturen und Maschinen.

In den letzten 100 Jahren haben sich auch die Anteile der Rohstoffe verschoben, die in die Materialbestände eingehen: Metalle wie Eisen, Kupfer und Aluminium haben zugenommen, Biomasse wie Holz hat dagegen abgenommen. Der Grund dafür ist die veränderte Bauweise: „Im Jahr 1900 waren Ziegel und Holz die dominierenden Materialien. Im Jahr 2010 sind es dagegen Beton, Asphalt und Metall“, berichten die Forscher. Sand und Kies allerdings bilden damals wie heute den Grundstock der meisten Bauwerke.

115 Tonnen pro Kopf

Wie die Forscher ausrechneten, entfallen heute auf jeden Bewohner der Erde durchschnittlich 115 Tonnen menschengemachtes Material. Im Jahr 1900 waren es dagegen „nur“ 22 Tonnen pro Kopf. „Dabei sind die Unterschiede zwischen Industrieländern und Entwicklungsländer allerdings hoch“, betonen die Forscher. So kommen wir hierzulande auf 335 Tonnen pro Kopf, in armen Ländern dagegen haben sich die Materialbestände seit 1900 kaum verändert, sie liegen bei rund 38 Tonnen pro Kopf.

Den größten Anteil an menschengemachten Materialien haben die Industrieländer produziert. © Krausmann et al./ PNAS

Doch die Entwicklungs- und Schwellenländer holen auf: Allein China hat seine Materialbestände zwischen 1990 und 2010 mehr als vervierfacht – von 35 auf 136 Tonnen pro Kopf, wie die Wissenschaftler berichten. Auch für den Rest Asiens, für Lateinamerika und Afrika erwarten sie einen weiteren rasanten Zuwachs mit einer zweiten Welle der Urbanisierung in diesen Regionen.

Massiver Energieverbrauch

Diese massive Akkumulation an menschengemachten Strukturen und Objekten hat auch seinen Preis: Es werden nicht nur große Mengen an Rohstoffen verbraucht, auch der Energiebedarf ist enorm. „Energie wird für die Gewinnung, die Herstellung und Konstruktion benötigt, aber auch für alle Prozesse, die der Erhaltung der menschengemachten Umwelt dienen“, erklären die Forscher.

Das aber hat Folgen: „Pro Tonne Materialbestand werden für Konstruktion und Erneuerung 62 Kilogramm Kohlenstoff als CO2 emittiert“, berichten Krausmann und seine Kollegen. Pro Jahr kommen dann weitere acht Kilogramm Kohlenstoff bei der Nutzung der Bestände hinzu. Angesichts der Tatsache, dass beim Materialzuwachs bisher kein Ende in Sicht ist, seien dies schlechte Aussichten für das Klima.

Nachhaltigere Ressourcennutzung nötig

Nach Ansicht der Wissenschaftler ist künftig eine nachhaltigere Ressourcennutzung dringend nötig. Um Rohstoffe und Energie zu sparen, müsste beispielsweise die Recyclingrate erhöht werden. „Zurzeit stammen nur zwölf Prozent der in die Bestände fließenden Materialien aus Recycling“, sagt Krausmann. Da sei noch viel Luft nach oben.

Um den Energieverbrauch und damit die Emissionen künftig nicht ins Unendliche wachsen zu lassen, sei eine Entkoppelung von Wirtschafts- und Infrastrukturwachstum nötig. Um dies zu erreichen, schlagen die Forscher unter anderem eine intensivere Nutzung bestehender Infrastrukturen und Objekte vor, ein effizienteres Design und längere Nutzungszeiten. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017; doi: 10.1073/pnas.1613773114)

(PNAS/ Alpen-Adria-Universität, 09.02.2017 – NPO)

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