Verseuchte Meeresfrüchte: Ungewöhnlich hohe Wassertemperaturen führen immer wieder zu toxischen Algenblüten, die mit ihren Giften Schalentiere belasten. Schuld daran ist unter anderem das Klimaphänomen El Nino. Einer Langzeit-Studie zufolge überschreitet die Belastung regelmäßig dann die Grenzwerte, wenn dieses Ereignis auftritt, schreiben Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Das giftige Problem könnte künftig sogar noch häufiger werden – denn durch den Klimawandel nehmen extreme El Ninos zu.
Regelmäßig bedecken den Pazifik riesige Teppiche aus Algen oder Cyanobakterien: Die massenhafte Vermehrung bestimmter Arten dieser kleinen Lebewesen färbt die Ozeanoberfläche plötzlich grün und manchmal auch blau oder rot. Doch das faszinierende Farbenspiel bedeutet mitunter eine Gesundheitsgefahr für Mensch und Tier. Denn manche Algenblüten sind giftig.
So produzieren die Algen der Gattung Pseudo-nitzschia beispielsweise Domoinsäure – ein Molekül, das sich im Gehirn an Glutamat-Rezeptoren anlagert und dadurch akute Vergiftungssymptome verursacht. Meeressäuger wie Seelöwen, Delfine und Wale kann das Neurotoxin sogar langfristig orientierungslos machen oder töten. Beim Menschen kann es durch den Verzehr belasteter Meeresfrüchte zu neurologischen Ausfallerscheinungen, Krämpfen, Durchfall und Atembeschwerden kommen.
Giftige Muscheln
Immer wieder muss in betroffenen Regionen deshalb die Muschelernte ausgesetzt werden. Oft passiert das dann, wenn die Meerestemperaturen ungewöhnlich warm sind. Experten vermuten daher einen Zusammenhang zwischen besonders hohen Konzentrationen des Algengifts in Muscheln, Krabben und Co und bestimmten Klimaphänomenen.
„Bestätigt ist das bisher aber nicht, weil es schwierig ist, kurzfristige Ereignisse mit größeren Kräften in Verbindung zu bringen, die sich über längere Zeiträume abspielen“, sagt Angelique White von der Oregon State University. Um dieses Problem zu lösen, haben die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen nun erstmals eine groß angelegte Analyse von Langzeit-Daten durchgeführt, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten erstrecken und den Zustand des Ozeans vor der US-amerikanischen Westküste widerspiegeln.
El Nino & Co als treibende Kraft
Das Ergebnis: Tatsächlich lässt sich eine Korrelation zwischen Belastungen mit Domoinsäure über dem gesetzlichen Grenzwert und warmen Wassertemperaturen feststellen. Die treibenden Kräfte für diese die giftige Algenblüte fördernde Bedingungen sind den Forschern zufolge dabei zwei Phänomene: El Nino-Ereignisse und die sogenannte Pazifische Dekaden-Oszillation (PDO).
Die beiden pazifischen Klimaphänomene führen unter anderem zu einem Anstieg der Oberflächentemperatur des Ozeans. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass warmes Wasser nordwärts strömt und giftige Algen mitbringen kann, die sich unter warmen Bedingungen besonders gut vermehren. Auf diese Weise gelangt der toxische Mix zudem ungewöhnlich nah an die Küste und kann sich dort in Meeresfrüchten anreichern.
Giftige Algenblüte wird häufiger
Für die Wissenschaftler ist damit klar, dass scheinbar plötzlich auftretende Algenblüten nicht durch zufällige Variationen der Wassertemperatur zu erklären sind – sondern durch die natürlichen Zyklen von El Nino und PDO orchestriert werden.
In Zukunft könnte die Bedeutung der giftigen Teppiche noch steigen. Denn durch die globale Erwärmung breiten sich Algenblüten schon jetzt immer häufiger weltweit aus – vor allem toxische Algenstämme florieren dadurch. Außerdem werden durch den Klimawandel auch extreme Varianten des El Nino-Phänomens überproportional zunehmen, wie Prognosen zeigen.
Präzise Prognose kritischer Werte
White und ihren Kollegen machen vor allem die potenziellen Langzeit-Folgen Sorgen: „Große Einströmungen von Domoinsäure produzierenden Algen können zum Beispiel Scheidenmuscheln besonders lange belasten. Sie reichern das Gift in ihren Muskeln an und brauchen deshalb noch länger als andere Schalentiere, um es wieder loszuwerden“, sagt Whites Kollegin Morgaine McKibben. Selbst ein Jahr nach dem Abklingen der warmen Wasserbedingungen könne der Verzehr dieser Art womöglich noch ein Risiko darstellen.
Mit ihrem Modell wollen die Forscher nun dabei helfen, kritische Belastungswerte vorherzusagen. Auf diese Weise könnte nicht nur die Gesundheit der Verbraucher besser geschützt, sondern auch der Wirtschaft geholfen werden. „Die Muschelfischerei entlang der Westküste ist ein Millionengeschäft“, sagt Mitautor Marc Suddleson von der National Oceanic and Atmospheric Association.
„Mögliche Ausfälle präzise prognostizieren zu können ist essentiell, damit sich Unternehmer darauf einstellen können und die Folgen für die Wirtschaft möglichst gering bleiben“, schließt er. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017; doi: 10.1073/pnas.1606798114)
(National Oceanic and Atmospheric Association/ Oregon State University, 10.01.2017 – DAL)