Psychologie

Durchschauen schon Kleinkinder Lügen?

Zweieinhalbjährige erfüllen wichtige Voraussetzung, um Flunkereien zu erkennen

Die lange Nase des Pinocchio kennzeichnet ihn als notorischen Lügner - aber durchschauen ihn auch schon Kleinkinder? © Purestock/ iStock.com

Entlarvt? Schon Kleinkinder könnten durchschauen, wenn Mama und Papa ihnen Unwahrheiten auftischen. Zumindest erfüllen sie bereits im Alter von zweieinhalb Jahren eine wichtige kognitive Voraussetzung dafür: Sie verstehen, dass Menschen andere Überzeugungen haben können als sie selbst – und auch, dass diese falsch sein können. Kleinkinder sind demnach womöglich schon viel früher als gedacht dazu in der Lage, Lügen zu erkennen.

Lügen gilt als unmoralisch und ist in unserer Gesellschaft eigentlich verpönt. Doch das ändert nichts daran, dass bei fast jedem von uns kleine Flunkereien an der Tagesordnung sind. Angeblich lügen wir bis zu 200 Mal am Tag – um zu prahlen, uns besser darzustellen oder als kurze Notlüge. Auch Eltern erzählen ihren Kindern nicht immer die ganze Wahrheit. Sie verheimlichen ihnen etwa Dinge, die sie vermeintlich ohnehin nicht verstehen würden oder wollen sie mit einer Lüge schützen.

Oft gehen die Erwachsenen dabei gerade bei Kleinkindern davon aus, dass sie die Flunkerei nicht durchschauen. Doch das könnte eine Fehleinschätzung sein, wie nun ein Experiment von Wissenschaftlern um Pei Pei Setoh von der Nanyang Technological University in Singapur offenbart. Demnach erfüllen Kinder schon viel früher als gedacht eine wichtige kognitive Voraussetzung, um Lügner zu entlarven.

Wer weiß was?

Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler in den USA das Verhalten von 140 Kindern im Alter von zweieinhalb Jahren mit dem sogenannten False Belief-Test. Dieser überprüft, ob Kinder in der Lage sind zu erkennen, dass andere Menschen Überzeugungen haben können, von denen das Kind weiß, dass sie falsch sind.

Den Kindern wird dabei zum Beispiel folgende Geschichte erzählt: Ein Charakter namens Sally versteckt eine Murmel in einer von zwei Kisten und geht weg. Dann kommt eine zweite Person und verlegt die Murmel in die andere Kiste, bevor Sally wiederkommt. Die Kinder werden nun gefragt: Wo wird Sally nach dem Gegenstand suchen? Erst ab einem Alter von vier Jahren deuten sie dabei in der Regel auf die erste Kiste. Kleinere Kinder verstehen nicht, dass Sally eine falsche Annahme treffen wird, weil sie von dem Tausch nichts mitbekommen hat – und zeigen auf die zweite Kiste.

Falsche Überzeugung erkannt

Doch woran liegt das? Fehlt ihnen tatsächlich die Fähigkeit, sich in die Überzeugungen anderer hineinzudenken? Pei Peis Team hatte eine andere Vermutung: In der Testsituation könnten auf die Kinder schlichtweg zu viele Informationen einprasseln, sodass sie nicht in der Lage sind, diese alle auf einmal zu verarbeiten. Um das zu überprüfen, passten die Wissenschaftler das Experiment an: Sie gaben den Kindern mehr Zeit, sich an die Testsituation zu gewöhnen und vereinfachten die Geschichte: Ein Objekt wird nun nicht in eine zweite Kiste verlegt, die das Kind sieht – sondern einfach weggenommen, zu einem unbekannten Ort.

Und siehe da: Bei dieser vereinfachten Version antworteten auch die zweieinhalbjährigen Probanden richtig. Demnach sind sich die Kleinkinder doch bereits darüber bewusst, dass andere Menschen nicht unbedingt die gleichen Überzeugungen haben müssen wie sie selbst. „Die Fähigkeit, Fragen über Personen mit falschen Überzeugungen richtig zu beantworten, ist schon in einem sehr frühen Stadium der kognitiven Entwicklung gegeben – anders als bisher angenommen“, sagt Renee Baillargeon von der University of Illinois.

„Fortgeschrittener als gedacht“

Genau diese Fähigkeit ist den Forschern zufolge die Voraussetzung, um Mama und Papa zu durchschauen: Theoretisch ermöglicht sie es den Kindern zu bemerken, wenn jemand lügt, schummelt oder „nur so tut als ob“.

Kurzum: Schon Zweieinhalbjährige könnten durchaus wissen, ob jemand ehrlich zu ihnen ist – oder eben nicht. „Eltern und Erzieher sollten sich darüber im Klaren sein, dass die kognitiven Fähigkeiten unserer Sprösslinge in der frühen Kindheit fortgeschrittener sein könnten als gedacht“, schließt Setoh. (Proceedings oft he National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1609203113)

(Nanyang Technological University, 01.12.2016 – DAL)

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