Von wegen typisch menschlich: Vermeintlich frühmenschliche Faustkeile sind vielleicht doch keine Zeugnisse unserer Vorfahren. Denn auch Kapuzineraffen in Brasilien produzieren täuschend echte Steinwerkzeuge, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Die Affen schlagen Quarzitbrocken aufeinander und erzeugen so Steinabschläge, die archäologischen Artefakten verblüffend ähneln. Muss die Frühgeschichte nun umgeschrieben werden?
Die Fähigkeit, Faustkeile und andere Steinwerkzeuge herzustellen, gilt als eine entscheidende Errungenschaft früher Menschenvorfahren. Lange galt der Homo habilis dabei als erster Werkzeugmacher der Menschheitsgeschichte. Doch 2015 entdeckten Forscher am Turkanasee in Kenia noch deutlich ältere Steinwerkzeuge – wenn sie denn von Vormenschen stammen.
Typisch menschlich?
Das Problem bei solchen Steinwerkzeugen: Sie sind nur anhand ihrer Bearbeitungsspuren von normalen Steinen zu unterschieden. Bisher galten dabei scharfe Kanten und gewölbte Spuren von Abschlägen als klare Indizien für eine nicht natürlich-entstandene Form. Selbst wenn in unmittelbarer Umgebung keine Hominidenfossilien oder Tierknochen mit Schnittspuren zu finden waren, wurden solche Steine bisher als Relikte (vor-)menschlicher Tätigkeit gedeutet.
Jetzt jedoch weckt eine Entdeckung in Brasilien Zweifel an dieser vermeintlich klaren Zuordnung. Tomos Proffitt von der University of Oxford und seine Kollegen haben im Serra da Capivara Nationalpark Kapuzineraffen dabei beobachtet, wie sie Steinabschläge ganz ähnlich den bisher als typisch menschlich gedeuteten herstellten.
Mit Hammer und Amboss
„Diese Kapuzineraffen sind dafür bekannt, dass sie häufig gezielt Steine gegeneinander schlagen“, berichten die Forscher. Die Affen suchen sich dafür rundliche Quarzit-Brocken und schlagen diese „Hammersteine“ wiederholt und kraftvoll gegen die freiliegenden Steine eines Quarzitkliffs. Meist gehen dabei einer der beiden Steine oder sogar beide zu Bruch.
Warum die Kapuzineraffen diese „Stein-auf-Stein-Perkussion“ praktizieren, ist bisher unklar. Die Biologen vermuten, dass sie damit vielleicht Flechten zerkleinern wollen oder aber an die Mineralien des Gesteins gelangen. Zumindest war häufig zu beobachten, dass die Affen an den zerbrochenen Steinen leckten oder sie beschnüffelten, wie die Forscher berichten.
„Nicht von archäologischen Artefakten zu unterscheiden“
Das Interessante aber waren die Bruchstücke, die diese Stein-Perkussion hinterließ. Proffitt und seine Kollegen haben sich 111 Fragmente näher angeschaut und Erstaunliches festgestellt: „Diese Artefakte sind nicht von archäologischen Beispielen unterscheidbar, die von Homininen absichtlich erzeugt wurden“, berichten die Wissenschaftler. „Wenn man diese Bruchstücke in einem archäologischen Kontext finden würde, würde man sie als absichtlich hergestellt einstufen.“
Nach Ansicht der Forscher müssen daher die Kriterien neu definiert werden, die bisher zur Bestimmung und Unterscheidung früher Steinwerkzeuge von Vormenschen dienten. „Das bedeutet nicht, dass die frühesten Werkezugfunde in Afrika nicht von Homininen hergestellt wurden“ betont Proffitt. „Es weckt aber Fragen über die Einzigartigkeit dieser frühmenschlichen Fähigkeit.“
Die Nutzung ist das Entscheidende
Entgegen bisheriger Annahme erfordert die reine Produktion von werkzeugähnlichen Steinabschlägen offenbar keineswegs eine fortgeschrittene Intelligenz. „Die Tatsache, dass wir Affen entdeckt haben, die das gleiche Resultat erzielen, nimmt dieser Annahme ein wenig den Wind aus den Segeln“, sagt Proffitts Kollege Michael Haslam.
Eines allerdings scheinen wir und unsere Vorfahren den Kapuzineraffen doch voraus zu haben: Homininen stellten ihre Steinabschläge gezielt her und nutzten sie hinterher als Werkzeuge. Bei den Affen sind die Fragmente eher Nebenprodukt. „Der Mensch ist zwar nicht einzigartig in der Herstellung dieser Technologie, aber die Art, wie er sie nutzte, ist sehr verschieden zu dem, wozu diese Affen fähig sein“, erklärt Haslam. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature20112)
(Nature/ University of Oxford, 20.10.2016 – NPO)