Biologie

Spinnen mit „unmöglichem“ Gehör

Springspinnen können auch ohne Ohren überraschend gut hören

Springspinnen sind eher für ihre großen Augen bekannt, doch wie sich jetzt zeigt, hörne sie auch besser als gedacht. © Gil Menda/ Hoy lab

Überraschender „Spinnensinn“: Obwohl Springspinnen keine Ohren besitzen, hören sie weit besser als bisher gedacht. Sie reagieren selbst auf Geräusche in drei Metern Entfernung – das galt bislang als biologisch unmöglich. Denn gängiger Lehrmeinung nach registrieren die Sinneshaare der Spinnen nur Lufterschütterungen in unmittelbarer Nähe. Doch die achtbeinigen Jäger belehren die Biologen nun eines Besseren.

Spinnen sind erfolgreiche und sehr variantenreiche Jäger. Während einige von ihnen in Netzen auf Beute warten, lauern andere versteckt in Erdhöhlen oder gehen sogar aktiv auf die Jagd. Zu diesen Jägern gehören auch die Springspinnen, die mit ihren großen scheinwerferartigen Augen gut erkennen können, wenn etwas Insektenartiges in ihre Nähe gerät.

„Bisher dachte man, dass die Wahrnehmungswelt der Springspinnen durch das Sehen und das Tasten dominiert wird“, erklärt Paul Shamble von der Harvard University. Über feine Härchen auf ihren Tastern und Beinen spüren die Spinnen Vibrationen des Untergrunds und sogar Schall – aber nur, wenn die Schallquelle wenige Zentimeter entfernt liegt. So jedenfalls dachte man bisher.

‚Verräterisches Knacken

Doch wie Shamble und sein Kollege Gil Menda durch Zufall entdeckten, stimmt dies nicht. Im Rahmen eines Experiments hatten sie eine Methode entwickelt, mit der sich Hirnströme aus dem Gehirn der Spinnen ableiten lassen. Ein Lautsprecher zeigte dabei mit einem hörbaren „Knack“ an, wenn das Wahrnehmungszentrum der Spinne auf einen Reiz reagierte.

„Als Gil mit seinem Stuhl von der Spinne wegrollte, gab dieser ein Quietschen von sich – und das Spinnenneuron begann zu knacken“, erinnert sich Shamble. „Als er erneut quietschte, reagierte das Neuron erneut.“ Aber eigentlich war das unmöglich: Die Rollen des Stuhls und damit die Schallquellen waren nach gängiger Lehrmeinung viel zu weit von der Spinne entfernt, um von ihr wahrgenommen zu werden.

So entdeckten die Forscher das ungewöhnliche Hörvermögen der Springspinnen© Cell Press

Noch aus drei Metern Entfernung

Um zu testen, ob dies ein Zufall war, begannen die Forscher, im unterschiedlicher Entfernung von der Spinne in die Hände zu klatschen – und jedes Mal reagierte das Gehirn des Tieres auf diesen akustischen Reiz. Selbst als die Forscher drei bis fünf Meter von der Spinne entfernt und außerhalb des Raumes klatschten, schien die Spinne dies problemlos zu hören.

Dies bestätigte sich in Experimenten, bei dem die Forscher mittels Lautsprecher Töne verschiedener Tonhöhen aus unterschiedlichen Entfernungen einspielten. Die Spinnen reagierten dabei am stärksten auf Töne mit einer Frequenz von 80 bis 90 Hertz. Ertönte das Geräusch, erstarrten die Spinnen und stellten sich tot.

Auf die Frequenz fliegender Insekten geeicht

„Diese Frequenz entspricht in etwa dem Fluggeräusch räuberischen Wespen und parasitischer Fliegen“, erklären die Wissenschaftler. Dass die Spinnen diese Geräusche wahrnehmen, mache daher biologisch gesehen durchaus Sinn: Es könnte dazu beitragen, dass die Spinnen den Gefahren durch diese Insekten besser entgehen. Möglicherweise hilft ihnen das Erlauschen fliegender Insekten aber auch beim Beutefang.

Die Spinnne "hören" über kleinste Bewegungen der feinen Sinneshaare an ihrem Vorderknie © Gil Menda/Hoy lab

„Überraschenderweise scheinen die Spinnen demnach sehr wohl ein feines Gehör zu besitzen“, sagt Shamble. „Sie können Geräusche noch in sehr viel weiterer Entfernung wahrnehmen als man bisher dachte – und das, obwohl sie keine Ohren mit Trommelfellen besitzen wie die meisten Tiere mit Entfernungshören.“

Haare statt Ohren

Wie aber hört die Spinne ohne Ohren? Auch das klärten Shamble und seine Kollegen mit einem Experiment. Wie sie feststellten, reagiert das „Hörzentrum“ im Spinnenhirn schon auf kleinste Auslenkungen der Sinneshaare auf den Vorderbeinen der Spinne. „Wenn wir einzelne dieser Haare vor- und zurückbewegten, bekamen wir eine Reaktion“, berichtet Shamble.

Die Spinnen besitzen demnach zwar kein eigenes Hörorgan, ihr Vibrationssinn ist aber so sensibel, dass er auf winzige Luftdruckschwankungen reagiert. Dabei reicht selbst das schwache Signal aus, das eine Schallquelle von rund 65 Dezibel in mehr als drei Metern Entfernung erzeugt. „Im Film hat Spiderman diesen zusätzlichen Spinnensinn, der ihm dabei hilft, Gefahren wahrzunehmen“, sagt Shamble. „Im wahren Leben könnte das Hören dieser Gefahren-Sinn der Spinnen sein.“

Die Forscher wollen als nächstes untersuchten, ob außer den Springspinnen noch andere jagende Spinnenarten wie Wolfsspinnen oder Raubspinnen ein solches Hörvermögen besitzen. (Current Biology, 2016; doi: 10.1016/j.cub.2016.08.041)

(Cell Press, 14.10.2016 – NPO)

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