Ärzte und Computer im Diagnose-Duell: Forscher haben erstmals untersucht, wer treffsicherer Krankheiten erkennen kann – Mediziner oder gängige Symptom-Checker-Programme. Wie sich zeigte, schnitt „Doktor App“ bei einfachen, gängigen Krankheiten durchaus passabel ab, nicht aber schweren, eher seltenen Erkrankungen. Noch ist daher der Besuch beim Arzt in jedem Falle der sichere Weg.
Künstliche Intelligenzen und neuronale Netzwerke werden immer schlauer und lernfähiger. Die Maschinengehirne besiegen uns Menschen inzwischen beim Schach und im Brettspiel Go, lösen Quizfragen und erreichen sogar in Teilen den IQ eines vierjährigen Kindes.
Auch in der Medizin sind Computer auf dem Vormarsch: Forscher arbeiten längst daran, Expertensysteme und selbstlernende Software für medizinische Diagnosen zu entwickeln. Die schlauen Algorithmen sollen Medizinern dabei helfen, Bild- oder Labordaten auszuwerten und Symptome zuzuordnen. Aber auch Symptom-Checker und Diagnose-Apps für den Hausgebrauch gibt es für Smartphones längst.
45 Krankheitsfälle als Testaufgabe
Was aber taugen diese digitalen Hilfsmediziner? Um das herauszufinden, haben Ateev Mehrotra von der Harvard University und seine Kollegen sowohl 243 Internisten als auch 23 gängige Diagnose-Apps auf die Probe gestellt. Die Aufgabe war es, die Symptome von 45 Patienten auszuwerten und auf die korrekte Diagnose ihrer Krankheit zu kommen.
Aus früheren Studien weiß man, dass menschliche Ärzte keineswegs vor falschen Diagnosen gefeit sind. Ihre Fehlerquote liegt bei etwa bei zehn bis 15 Prozent. Unter den jetzt getesteten Fallbeispielen waren sowohl seltene als auch gängige Krankheiten, schwere Erkrankungen ebenso wie leichtere. Sowohl Ärzte als auch Software-Programme gaben für jeden Patienten die ihrer Ansicht nach wahrscheinlichste Diagnose sowie zwei weitere Möglichkeiten an.
1:0 für den Menschen
Die Bilanz am Ende dieses Diagnose-Duells: Die Mediziner lagen bei insgesamt 72 Prozent ihrer Diagnosen richtig, die Computer-Apps dagegen nur bei 34 Prozent. Zwar tippten die Apps bei eher gängigen und leichteren Erkrankungen häufig durchaus richtig, gerade aber bei schweren und seltenen Krankheiten lagen sie meist falsch, wie die Forscher berichten.
Noch steht es damit 1:0 für die menschlichen Mediziner. „Die klinische Diagnose ist heute fast so sehr eine Kunst wie eine Wissenschaft“, sagt Mehrotra. Mit der Erfahrung und Einsicht menschlicher Ärzte könne sich ein Computerprogramm heute noch nicht messen.
Nur eine Frage der Zeit
Doch das muss nach Ansicht der Wissenschaftler nicht so bleiben. Denn sie sehen in künstlicher Intelligenz und lernfähigen Expertensystemen durchaus wertvolle Helfer der Medizin. Ihr Fazit dieses Duells lautet daher eher: „Noch nicht“. „Zwar waren die Computerprogramme den Medizinern in der diagnostischen Treffsicherheit klar unterlegen“, sagt Mehrotra. „Aber künftige Generationen von Programmen könnten schon sehr viel genauer sein.“
Er sieht den wahren Wert von medizinischer Software ohnehin eher in ihrer unterstützenden Funktion: Solche Programme könnten Ärzten helfen, Basisdaten auszuwerten und ihnen damit Zeit ersparen, die die Mediziner besser ihren Patienten widmen.
(Harvard Medical School, 12.10.2016 – NPO)