Neurobiologie

Warum wir vor dem Schlafen Durst haben

Forscher klären Ursache des Abenddursts – und die Rolle der inneren Uhr

Abends kurz vor dem Schlafengehen bekommen wir oft nochmal Durst - aber warum? © mel-nik/ iStock.com

Seltsames Phänomen: Oft bekommen wir abends vor dem Schlafengehen noch einmal Durst – selbst wenn wir zuvor genug getrunken haben. Woran dies liegt, haben nun kanadische Forscher aufgeklärt. Demnach ist nicht Wassermangel die Triebkraft, wie sonst bei Durst üblich. Stattdessen löst unsere innere Uhr dieses Trinkbedürfnis rein zeitgesteuert aus. Der Sinn dahinter: Das abendliche Trinken beugt einem Wassermangel während der nächtlichen Schlafphase vor, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ erklären.

Unser Körper braucht viel Flüssigkeit – kein Wunder, bestehen wir doch zu einem großen Teil aus Wasser. Damit in unseren Zellen und Geweben kein Wassermangel herrscht, hat unser Gehirn eigene Messfühler, die bei drohender Dehydration Alarm schlagen. Als Reaktion verspüren wir ein unmissverständliches Signal: ein Durstgefühl.

Abends ist der Durst am größten

Doch es gibt einen Durst, der eher von der Tageszeit abzuhängen scheint: Viele Menschen verspüren abends, kurz vor dem Schlafengehen noch einmal den Drang, etwas zu trinken. Aber warum? Ist auch hier ein Wassermangel des Körpers schuld oder ist dieser Durst vielleicht eher eine Art Vorbeugung – ein Verhalten, mit dem unser Körper vor der langen Schlafphase nochmal „auftankt“?

Um das herauszufinden, haben Claire Gizowski und ihre Kollegen von der McGill University in Montreal die Tatsache ausgenutzt, dass Ratten und Mäuse in der Zeit kurz vor ihrer Schlafphase ein ähnliches Durstgefühl verspüren. Weil sie uns in ihrer Neurophysiologie, ihrer inneren Uhr und auch in der Durststeuerung sehr ähnlich sind, untersuchten die Forscher dieses Abendtrink-Phänomen an Mäusen.

Ist Wassermangel der Grund?

Die erste Frage war, ob dieser Durst durch eine Dehydrierung ausgelöst wird – und damit von den gleichen Mechanismen, die auch sonst unseren Durst steuern. Um das zu klären, prüften die Forscher bei den Mäusen die Konzentration des Blutes und die Körpertemperatur. Auch die Nahrung wurde bei einigen Mäusen verändert.

Das Ergebnis: Die Mäuse tranken vor dem Schlafen auch dann mehr Wasser, wenn ihr Körper eigentlich ausreichend „gewässert“ war. „Das zusätzliche Trinken ist demnach nicht von einem physiologischen Durst motiviert“, konstatieren Gizowski und ihre Kollegen. „Dieses Verhalten scheint stattdessen bedürfnislos zu sein.“

Zellen des Durstzentrums (blau) im Gehirn von Mäusen © McGill University

Abenddurst als Vorbeugung?

Was aber bringt dann die Nager und uns dazu, vor dem Schlafen mehr zu trinken? Weil dieser Durst immer abends auftritt, könnte er von der inneren Uhr gesteuert sein, so die Hypothese der Forscher. Immerhin sorgt dieser Taktgeber dafür, dass unser gesamter Stoffwechsel im Tag-Nacht-Rhythmus schwankt.

Ein möglicher Grund: Während der langen Schlafphase bekommt unser Körper keinen Wassernachschub, er muss daher mit dem auskommen, was er zuvor „getankt“ hat. Es könnte daher sein, dass unser Körper quasi vorbeugend dafür sorgt, dass wir genügend trinken – indem er uns abends nochmal durstig werden lässt. Wie die Forscher feststellten, leiden Mäuse, die am abendlichen Trinken gehindert wurden, gegen Ende ihrer Schlafphase tatsächlich an Wassermangel.

Direkter Draht zum Durstzentrum

Aber wie löst die innere Uhr diesen vorbeugenden Durst aus? Um das herauszufinden, analysierten die Forscher die Aktivität des suprachiasmatischen Nucleus (SCN) – dem Sitz der inneren Uhr – sowie des Durstzentrums bei den Mäusen und untersuchten, ob und welche Signale beide austauschen.

Es zeigte sich: Kurz vor der Schlafphase werden einige Zellen der inneren Uhr besonders aktiv. Diese Zellen steuern die Ausschüttung des Botenstoffs Vasopressin, einem Peptidhormon, das unter anderem den Wasserhaushalt und den Blutdruck beeinflusst. Das Vasopressin wiederum wirkt auf das Durstzentrum und löst dort ein Durstgefühl aus, wie das Experiment an den Mäusen belegte.

Nach Ansicht der Forscher belegt dies, dass der abendliche Durst tatsächlich von der inneren Uhr ausgelöst wird – und uns höchstwahrscheinlich vor einem nächtlichen Dehydrieren schützt. „Obwohl unsere Studie an Mäusen durchgeführt wurde, liefert sie auch eine Erklärung, warum wir Menschen so oft vor dem Schlafengehen noch etwas trinken möchten“, erklärt Seniorautor Charles Bourque. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature19756)

(McGill University, 29.09.2016 – NPO)

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