Klima

Grönland verliert mehr Eis als gedacht

Forscher korrigieren Eisverlust um 20 Gigatonnen pro Jahr nach oben

Die Gletscher Grönlands sind durch die Erderwärmung akut in Bedrängnis. © Ingo Sasgen/ AWI

Falsche Modellrechnung: Die grönländischen Gletscher schmelzen schneller als bisher angenommen. Das zeigt eine umfangreiche Auswertung von GPS-Daten. Demnach verliert der Eisschild 272 Gigatonnen Masse pro Jahr – das sind rund 20 Gigatonnen mehr als frühere Kalkulationen ergaben. In den gängigen Modellen hat sich demnach ein Fehler eingeschlichen, wie Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.

Grönlands Eis ist das zweitgrößte Reservoir von Wassereis auf unserem Planeten – und eines an dem der Klimawandel nagt. Die Erderwärmung macht die grönländischen Gletscher immer instabiler und lässt die Eisriesen schmelzen. Der Eisschild büßt so seit Jahren an Masse ein. Forscher haben berechnet, dass aus den Gletschern inzwischen jedes Jahr so viel Schmelzwasser fließt wie in fünf Bodenseen passt.

Wie stark hebt sich das Land?

Nun zeigt sich jedoch: Das Ausmaß des Eisverlusts könnte sogar noch größer sein. Denn die bisherigen Kalkulationen haben einen entscheidenden Punkt außer Acht gelassen, wie Forscher um Shfaqat Abbas Khan von der Technischen Universität Dänemark berichten.

Der Geowissenschaftler und seine Kollegen haben mithilfe eines neuen Netzwerks aus GPS-Stationen erstmals präzise gemessen, wie stark sich die Erdkruste in Grönland anhebt. Solche Landhebungen sind ein Indiz dafür, wie viel Eisverlust eine Region in der Vergangenheit erlebt hat: Ein mächtiger Eisschild drückt den Untergrund nach unten und lässt ihn einsinken. Schmilzt das Eis, hebt sich das Land zeitlich verzögert wieder.

Sieben Prozent schneller

Die Messungen offenbaren: Die Krustenhebung ist deutlich höher als in bisherigen Modellrechnungen angenommen. Demnach hebt sich der Untergrund Grönlands teilweise bis zu zwölf Millimeter pro Jahr. Dieses Ergebnis deute auf einen massiveren Gletscherrückgang seit der letzten Eiszeit hin, schreibt das Team.

Korrigiert man aktuelle Kalkulationen um diesen neuen Wert, zeigt sich: Die Eismasse hat in der Zeit von 2004 bis 2015 nicht um durchschnittlich 253 Gigatonnen pro Jahr abgenommen – sondern um 272 Gigatonnen. Damit schmilzt Grönlands Eis sieben Prozent schneller als gedacht. Aufgrund der neuen Daten kommen die Forscher nun zu dem Schluss, dass das schmelzende Grönlandeis seit dem glazialen Maximum in der letzten Eiszeit einen Meeresspiegelanstieg von 4,6 Metern verursacht hat. Bisher gingen Experten von einem Anstieg von 3,2 Metern aus.

Hotspot als Fehlerquelle

Doch wie kam es zu dem Fehler in früheren Berechnungen? Khan und seine Kollegen haben eine Erklärung dafür: Die Hebungsrate hängt nicht nur von der Mächtigkeit des Eisschilds, sondern auch von der Beschaffenheit der Lithosphäre ab – und hier haben die Modelle vermutlich eine Besonderheit missachtet: Der Untergrund unter Grönland ist vor rund 40 Millionen Jahren im Zuge der großen Plattenbewegungen über einen „Hotspot“ im Erdmantel hinweggeglitten.

Heute befindet sich Island mit seinen Vulkanen und heißen Quellen über diesem Hotspot. Aus dieser Jahrmillionen zurückliegenden Erhitzung des grönländischen Untergrunds rührt eine dünnere Lithosphäre als beispielsweise unter Skandinavien – und mit falschen Informationen über die Dicke der Lithosphäre sind auch die Berechnungen der Landhebung in Grönland nicht korrekt.

Nordwesten und Südosten besonders betroffen

Die Abweichung um ungefähr 20 Gigatonnen pro Jahr sei jedoch nicht sonderlich dramatisch, sagt Mitautor Michael Bevis von der Ohio State University: „Es ist eine eher kleine Korrektur.“ Für die Forscher sind die neuen Ergebnisse trotzdem von großer Bedeutung: Dank der GPS-Daten können sie nun besser erkennen, in welchen Regionen die Erderwärmung am stärksten am Eis genagt hat und wo sie sich heute besonders auswirkt.

So fand Khans Team im Nordwesten und im Südosten Grönlands besonders starke Abweichungen. Dort hebt sich das Land am stärksten und auch heute noch finden in diesen Regionen, wo die Gletscher direkt in den Ozean kalben, die größten Eismasseverluste statt. Den neuen Ergebnissen zufolge sei die Klimasensitivität dieser Regionen wahrscheinlich noch höher als gedacht, so die Forscher. „Vermutlich wird das schwindende Grönlandeis noch über Jahrhunderte zum Meeresspiegelanstieg beitragen“, schließen sie. (Science Advances, 2016)

(Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ/ The Ohio State University/ University of Bristol, 22.09.2016 – DAL)

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