Heilung per Stammzellen? Ein junger US-Amerikaner hat als erster Gelähmter erfolgreich eine experimentelle Stammzell-Therapie erhalten. Nach der Injektion von Nervenvorläufer-Zellen in seine verletzte Halswirbelsäule erlangte er die Kontrolle über seine Arme und Hände zurück. Drei Monate später kann der zuvor vom Hals abwärts gelähmte Patient wieder selbst telefonieren, seinen Namen schrieben und seine Familie umarmen.
Die Behandlung von Menschen mit Rückenmarksverletzungen macht momentan rasante Fortschritte. Erst vor Kurzem berichteten Forscher über eine Kombinationstherapie aus Neurofeedback und Robotertechnik, durch die acht langjährig Querschnittsgelähmte wieder Kontrolle über ihre Beine bekamen. Ein anderes Team überbrückte bei einem Patienten die verletzten Nerven in der Halswirbelsäule durch eine Operation. Er konnte dadurch seine Arme wieder bewegen.
Stammzellen als Wachstumshelfer
Eine dritte Therapie-Variante testen zurzeit US-Forscher am Keck Medical Center der University of California. Sie versuchen, die Nervenschäden im Rückenmark durch Stammzellen rückgängig zu machen. Dafür nutzen sie embryonale Stammzellen, die sie in Zellkulturen zu sogenannten Oligodendrozyten-Vorläuferzellen heranzüchten – einem Stammzelltyp, der auch von Natur aus in Gehirn und Rückenmark vorkommt.
Laborstudien mit diesen Vorläuferzellen haben bereits gezeigt, dass sie Botenstoffe aussenden, die das Nervenwachstum und die Blutversorgung der Nerven anregen. Zudem fördern diese Zellen die Bildung und Regeneration der Myelinhülle um Nervenfasern. „All dies sind kritische Faktoren, die das Überleben, das Neuwachsen und die Leitfähigkeit der Nerven an verletzten Stellen im Rückenmark beeinflussen“, erklärt Studienleiter Edward Wirth
Nur bei frischen Verletzungen
Aber reicht dieser Effekt der Stammzellen auch aus, um Verletzungen des Rückenmarks zu heilen? Und welche Risiken birgt eine solche Stammzell-Therapie? Um diese Fragen zu klären, haben die Forscher eine erste klinische Studie begonnen. An dieser nehmen Patienten teil, deren Rückenmarksverletzung noch frisch ist und nicht länger als 30 Tage zurückliegt.
Ihr erster Patient, Kristopher Boesen, hatte am 6. März 2016 einen schweren Autounfall, bei dem seine Halswirbelsäule und das Rückenmark verletzt wurden. Der junge Mann war dadurch vom Hals abwärts gelähmt. Anfang April wurde seine verletzte Wirbelsäule durch eine Operation stabilisiert, dabei injizierten ihm die Forscher zehn Millionen Oligodendrozyten-Vorläuferzellen in den Rückenmarkskanal.
Erstaunliche Besserung
Bereits zwei Wochen nach dieser Stammzell-Behandlung zeigte der Patient Anzeichen der Besserung, wie die Wissenschaftler berichten. Er begann, wieder Gefühl in seinen Händen zu erlangen und konnte nach und nach die Arme immer besser bewegen und kontrollieren. Nach sechs Wochen konnte er bereits in die Rehabilitation entlassen werden.
„90 Tage nach der Behandlung hat Kris seine motorischen Funktionen um zwei Stufen verbessert“, berichtet der ausführende Chirurg Charles Liu. „Das bedeutet, er kann seine Hände benutzen, um sich die Zähne zu putzen, einen Computer zu bedienen und andere Dinge zu tun.“ Noch ist die Rehabilitation des jungen Patienten nicht abgeschlossen. Wie stark sich sein Zustand weiter verbessern wird, ist daher noch ungewiss.
Studie läuft noch
Noch ist dies erst der allererste Patient, der diese Stammzell-Therapie erhalten hat. Insofern sei es noch zu früh, aus einem solchen Einzelfall auf die generelle Wirksamkeit dieser Behandlung zu schließen, betonen die Forscher. Doch die Studie läuft weiter und weitere Patienten werden mit den Stammzellen behandelt. Schon in wenigen Wochen wollen die Wissenschaftler Ergebnisse zur ersten Patientengruppe veröffentlichen.
„Mit dieser Studie testen wir eine Prozedur, die die neurologische Funktion bei Patienten mit Verletzungen der Halswirbelsäule verbessern könnte“, sagt Liu. „Für sie könnte dies den Unterschied bedeuten zwischen einer vollständigen Lähmung und der Fähigkeit, zumindest die Arme und Hände zu benutzen.“ Die klinische Studie der Stammzell-Therapie läuft in den USA bereits an sechs Standorten.
(Keck Medicine of USC, 09.09.2016 – NPO)