Nach gut 100 Jahren überführt: Der Täter im berühmtesten Fossilienschwindel der Geschichte ist wahrscheinlich gefunden. Neue Analysen des „Piltdown-Menschen“ sprechen dafür, dass Charles Dawson diese vermeintlichen Frühmenschen-Fossilien gefälscht hat – der angebliche Finder der Relikte. Woher die Knochen und Zähne der Fälschung stammten und warum es kein Profi war, der sie damals auf alt trimmte, haben die Forscher dank moderner Methoden nun herausgefunden.
Der „Piltdown-Mensch“ gilt bis heute als einer der spektakulärsten Wissenschaftsschwindel überhaupt. Die Geschichte begann 1912, als der Rechtsanwalt und Hobbyforscher Charles Dawson und der Paläontologe Arthur Woodward einen sensationellen Fund präsentierten: In Südengland, in der Nähe des Ortes Piltdown, hatte Dawson Schädelfragmente entdeckt, die von einem Frühmenschen zu stammen schienen. Während das gewölbte Schädeldach menschlich schien, zeigten ein Unterkiefer und ein Eckzahn eher affenähnliche Merkmale.
Halb Affe, halb Mensch
Der erste Frühmenschenfund auf englischen Boden war eine echte Sensation und sorgte weltweit für Aufsehen. Zwar wurden schon damals einige zweifelnde Stimmen laut, doch die Entdeckung weiterer vermeintlicher Frühmenschenfossilien an einer nur Dawson bekannten Fundstelle in Piltdown überzeugte schließlich die meisten Kritiker. Der „Piltdown Mensch“ wurde nach seinem Entdecker Eoanthropus dawsoni getauft und zunächst offiziell in den Stammbaum des Menschen aufgenommen.
Erst gut 40 Jahre später wurde das Ganze als Fälschung entlarvt: Eine Radiokarbondatierung enthüllte 1953, dass die vermeintlich urzeitlichen Knochen maximal einige hundert Jahre alt waren. Jemand hatte offensichtlich einfach die Hirnschale eines modernen Menschen und einen Affenkiefer chemisch behandelt und „auf alt getrimmt“ und dann beides gemeinsam vergraben. Aber wer?
Wer war der Täter?
„Trotz einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen ist noch immer nicht eindeutig klar, wer die Fälschung begangen hat“, erklären Isabelle De Groote von der Liverpool John Moores University und ihre Kollegen. Im Verdacht standen neben Dawson, Woodward und dessen Assistent Martin Hinton sogar der Jesuit Teilhard de Chardin und der Schriftsteller Arthur Conan Doyle, die beide damals in der Nähe des Fundorts lebten.
Um den Täter dingfest zu machen, haben nun De Groote und ihre Kollegen die Piltdown-Fossilien erneut untersucht – diesmal mit modernsten Mitteln von der Mikrotomografie über DNA-Analysen bis hin zu verschiedensten Mikroskopie-Methoden. Ihr Ziel war es dabei, mehr über Alter und Herkunft des Affenkiefers und der Zähne sowie der menschlichen Hirnschale zu erfahren. Außerdem wollten sie herausfinden, ob einer oder mehrere Täter diese Fälschung damals umsetzten.
Ein Orang-Utan, zwei mittelalterliche Tote
Die Ergebnisse haben gleich mehrere spannende Details zur Fälschung enthüllt. So ergaben die DNA-Analysen, dass der Kiefer und Eckzahn des Piltdown-Schädels von einem Orang-Utan stammen – und zwar vom gleichen Tier wie der Backenzahn des vermeintlichen zweiten Frühmenschenfundes in Piltdown. Der Fälscher muss demnach Zugang zu einem entweder im Museum oder von Händlern aufbewahrten Orang-Skelett gehabt haben.
Die menschlichen Anteile des Piltdown-Schädels, darunter ein Teil der Hirnschale und der Stirn, hatte der Fälscher dagegen aus den Knochen von zwei, vielleicht sogar drei Toten aus dem Mittelalter kombiniert, wie die Forscher feststellten. Die Art, wie die Knochen auf alt getrimmt wurden, waren jedoch in allen Fällen gleich. „Bei Piltdown I und II wurde immer der gleiche Kitt verwendet, um die Zähne in den Affenkiefer einzusetzen, die Schädelknochen zusammenzufügen und um den Kies am Knochen festzuhalten“, berichten De Groote und ihre Kollegen.
„Dawson war der Fälscher“
Nach Ansicht der Forscher lässt dies nur einen Schluss zu: „Methode und Knochen sprechen für nur einen Fälscher – und dieser war höchstwahrscheinlich Charles Dawson“, konstatieren sie. Denn er sei die einzige Person, die beide angeblichen Fundstellen der Piltdown-Relikte kannte. Außerdem könnte Dawson sich als Amateur-Sammler die Orang-Utan-Knochen und auch die Menschenschädel leicht über einschlägige Händler verschafft haben.
„Dawson hatte nicht nur den Zugang und die Kontakte, um sich die Exemplare zu verschaffen, er war zudem ein guter Netzwerker und wusste genau, was die britische Forschergemeinde damals bei einem Missing Link zwischen Affen und Menschen erwartete: ein großes Gehirn, ein affenähnliches Gesicht und stark fossilierte Knochen“, erklären die Forscher.
Ebenfalls für Dawson spricht ihrer Ansicht nach die eher unprofessionelle Weise, mit der einige Piltdown-Fragmente beim Eingraben und künstlich Altern behandelt wurden. „Der Fälscher war kein ausgebildeter Konservator“, berichten De Groote und ihre Kollegen. „Einige Aspekte seiner Arbeit sind unfachmännisch und führten dazu, dass Knochen brachen, Kitt zu schnell aushärtete und Zähne beschädigt wurden.“ Einem ausgebildeten Paläontologen, Konservator oder Museumsmitarbeiter wäre dies eher nicht passiert.
Vom Ehrgeiz zerfressen?
„Es bleibt allerdings die Frage, was einen erfolgreichen Rechtsanwalt mit gutem Ruf als Hobby-Geologe, Paläontologe und Fossiliensammler zu einem seriellen Fälscher werden ließ?“, fragen die Forscher. Eine mögliche Erklärung könnte die Gier Dawsons nach wissenschaftlicher Anerkennung gewesen sein. Denn sein Traumziel war ihm bis dahin verwehrt geblieben: die Aufnahme in die renommierte Royal Society.
Zwar hatte der Hobby-Forscher Dawson bis 1909 mehr als 50 Publikationen veröffentlicht, doch sie waren allesamt dafür nicht relevant genug. 1909 schrieb er daher an Woodward: „Ich warte noch immer auf den ‚großen Fund‘, doch der kommt einfach nicht….“ Nach Ansicht der Forscher liegt es nahe, dass Dawson schließlich zur Selbsthilfe griff – und seinen großen Fund kurzerhand selbst fabrizierte.
„Die Fälschung des Piltdown-Menschen hat uns eine wertvolle Lektion erteilt“, betonen De Groote und ihre Kollegen zum Abschluss noch. „Denn sie warnt Wissenschaftler bis heute davor, sich bei Neuentdeckungen von vorgefassten Meinungen leiten zu lassen. Stattdessen sind gerade dann wissenschaftliche Integrität und Strenge nötig.“ (Royal Society Open Science, 2016; doi: 10.1098/rsos.160328)
(Royal Society, 10.08.2016 – NPO)