Heimliche Dreier-Beziehung: Flechten gelten als eine Lebensgemeinschaft aus zwei voneinander profitierenden Partnern. Eine Studie zeigt nun jedoch: Bei der Symbiose mischt noch ein Dritter mit. Demnach bildet ein zuvor unbekannter Hefepilz in 52 Flechtengattungen auf der ganzen Welt einen wichtigen Teil der Lebensgemeinschaft. Er formt die Vegetationskörper des Organismus entscheidend mit und schützt die Flechte vor Feinden, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Flechten sind ein klassisches Beispiel für eine perfekte Symbiose: Ein Pilz und eine Alge oder ein Cyanobakterium vereinen sich in dieser Lebensform zu einem wahren Superorganismus. Dabei ergänzen sich die beiden sehr unterschiedlichen Partner so gut, dass sie gemeinsam Fähigkeiten besitzen, die Alge oder Pilz allein nicht haben. Auf diese Weise können Flechten selbst die unwirtlichsten Lebensräume besiedeln – und womöglich sogar auf dem Mars überleben.
Bereits vor knapp 150 Jahren haben Wissenschaftler erkannt, dass Flechten aus dieser faszinierenden dualen Partnerschaft hervorgehen. Doch all die Jahre haben Experten offenbar eine wichtige Komponente der Lebensgemeinschaft übersehen. Denn wie Forscher um Toby Spribille von der Universität Graz nun herausgefunden haben, bestehen einige der häufigsten Flechtenarten gar nicht aus zwei Partnern – sondern aus drei.
Gleiche Gene, anderes Aussehen?
Die Biologen entdeckten den Dritten im Bunde der Symbiose auf der Suche nach einer Erklärung für ein Rätsel um zwei eng verwandte Flechtenarten: Bryoria tortuosa und Bryoria fremontii bestehen aus exakt dem gleichen Pilz und der gleichen Alge, unterscheiden sich jedoch deutlich. Während B. fremontii braun ist, sind die Vegetationskörper von B. tortuosa gelb: Die Flechte produziert in großen Mengen die toxische Vulpinsäure, die diese Färbung verursacht.
Wie aber kommen diese frappierenden Unterschiede der beiden Arten zustande? Um das zu ergründen, analysierten die Forscher die RNA der Symbiose-Partner. Diese Moleküle agieren als wichtige Informationsüberbringer und kontrollieren unter anderem die Genaktivität. Die Analyse lieferte jedoch zunächst keine Antwort: Sowohl sämtliche Gene des bekannten Pilzpartners als auch die Gene der Alge wurden in beiden Arten gleich stark exprimiert.
Hefepilz als Dritter im Bunde
Deshalb erweiterten die Wissenschaftler ihre Untersuchung und fahndeten nicht mehr nur gezielt nach RNA der bekannten Mitglieder der Lebensgemeinschaft. Dabei entdeckten sie Überraschendes: Insgesamt 506 genetische Signaturen wiesen auf die Präsenz eines zweiten Pilzes hin – und diese Gene wurden in der Tat bei beiden Arten unterschiedlich exprimiert.
Ein bisher unbekannter Cyphobasidium-Hefetyp aus dem Stamm der Basidiomecetes war demnach Teil der Lebensgemeinschaft: „Er war in den Vegetationskörpern beider Arten vorhanden, kam in B. tortuosa jedoch weitaus häufiger vor“, schreibt das Team.
Weltweit verbreitet
Spribille und seine Kollegen vermuteten, dass es sich bei diesem heimlichen Dreier womöglich nicht um einen Einzelfall handelt. Sie begannen, auch andere Flechtenarten auf die Hefe zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigten: Der zweite Pilz ist in Flechten zu finden, die auf der ganzen Welt verbreitet sind – von der Antarktis, über Japan, bis nach Südamerika und Äthiopien.
Den Forschern zufolge ist der Pilz bei mindestens 52 Gattungen Teil der Symbiose. Genetische Vergleiche mit den engsten Verwandten des Hefepilzes offenbarten zudem, dass die drei Mitglieder des Flechtenorganismus wahrscheinlich auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückblicken. Demnach entwickelte sich der Pilz zeitgleich mit den ersten Flechten.
Essenziell fürs Überleben
Als wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaft ist der Hefepilz für das Überleben der Flechte essenziell. Wie die Wissenschaftler beobachteten, sterben ohne ihn Zellen im Vegetationskörper der Flechte ab. Denn der Pilz bildet die äußere Schicht der sogenannten Thalli. Dort hilft er dem Organismus, die toxische Vulpinsäure zu produzieren, die ihn vor unerwünschten Eindringlingen wie anderen Mikroben schützt.
„Diese Erkenntnis bringt Vieles, was wir über diese Symbiose zu wissen glaubten, fundamental durcheinander“, sagt Spribille. „Grundlegende Annahmen darüber, wie sich Flechten bilden und wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben übernimmt, müssen wir nun neu bewerten.“
Dass so ein wesentlicher Bestandteil der Flechten so lange übersehen werden konnte, erstaunt die Forscher besonders: „Mehr als 100 Jahre lang müssen Menschen immer wieder direkt auf den Pilz geschaut haben. Sie dachten wahrscheinlich, sie wissen was sie sehen. Doch in Wahrheit sahen sie etwas ganz anderes.“ (Science, 2016; doi: 10.1126/science.aaf8287)
(AAAS/ The University of Montana/ Purdue University, 22.07.2016 – DAL)