Physik

Der „Ouzo-Effekt“ durchs Mikroskop gesehen

Forscher beschreiben Lebensphasen eines verdunstenden Schnapstropfens

Von durchsichtig zu milchig: Ouzo-Tropfen unter dem Mikroskop © Universität Twente

Blick ins Ouzo-Glas: Anisschnaps plus Wasser ergibt eine weißlich-trübe Flüssigkeit – doch was passiert bei diesem Prozess eigentlich genau? Das wollten Forscher nun wissen und haben einem einzelnen Tropfen des Schnapses bei einer beeindruckenden Transformation zugesehen. Erstmals beschreiben sie auf mikroskopischer Ebene, wie sich die drei Bestandteile des Getränks voneinander trennen – und was passiert, wenn man den Tropfen vollständig verdunsten lässt.

Ob im Urlaub in Südfrankreich oder beim Griechen um die Ecke – wer schon einmal Ouzo oder Pastis verdünnt getrunken hat, kennt den Effekt: Aus dem zuvor transparenten Getränk wird nach Zugabe von Wasser eine milchig-weiße Flüssigkeit. Doch wie kommt dieses Phänomen zustande?

Physiker wissen: Die Erklärung liefert die Zusammensetzung der Spirituose, eine Mischung aus Wasser, Alkohol und Anisöl. Je mehr Wasser man dieser Mixtur hinzufügt, desto schlechter wird die Löslichkeit des ätherischen Öls, das dem Schnaps seinen charakteristischen Geschmack verleiht. Statt sich mit den anderen Komponenten gleichmäßig zu vermischen, formt es nun kleine Tropfen. Diese streuen das Licht und machen die Flüssigkeit milchig.

Ouzo-Tropfen unter der Lupe

Die Wissenschaftler beschreiben erstmals die "Lebensphasen" eines Ouzo-Tropfens © Universität Twente

Wissenschaftler um Huanshu Tan von der Universität Twente haben den „Ouzo-Effekt“ nun erstmals ganz genau unter die Lupe genommen – und ihn an einem einzigen Tropfen Schnaps im Detail beobachtet. Dafür platzierten sie die Mini-Portion Ouzo bei Raumtemperatur auf einer hydrophoben Oberfläche und warteten einfach ab. Sie stellten fest: Innerhalb von nur einer Viertelstunde vollzieht der Tropfen eine ereignisreiche Verwandlung.

Tans Team beschreibt insgesamt vier Lebensphasen des Schnaps-Tropfens. Den Anfang macht die Verdunstung von Alkohol. Dieser ist der flüchtigste Bestandteil der Mischung und verlässt die Flüssigkeit zuerst. Dadurch passiert das Gleiche, wie wenn man Wasser zum Schnaps hinzugibt: Das Verhältnis von Wasser zu Alkohol verändert sich.

Der höhere Wasseranteil wirkt sich jetzt negativ auf die Löslichkeit des Anisöls aus. Das Öl beginnt, winzige Tröpfchen in der Flüssigkeit zu bilden – und zwar zunächst an den äußeren Rändern des Tropfens. Denn dort verflüchtigt sich der Alkohol bevorzugt. Experten nennen diesen Prozess Nukleation.

Ein Ring aus Öl

In Phase Zwei beginnen sich die Flüssigkeiten im gesamten Tropfen rapide zu bewegen. Diese Marangoni-Konvektion genannte Strömung kommt durch unterschiedliche Oberflächenspannungen innerhalb des Tropfens zustande – ausgelöst hat diese Unterschiede die Verdunstung des Alkohols am Rand des Tropfens. Ausgehend von dort breitet sich der „Ouzo-Effekt“, unterstützt durch die Strömung, nun schnell weiter aus. Je mehr Öl nukleisiert, desto milchiger wird der Schnaps.

Was passiert, wenn ein Tropfen Anisschnaps verdunstet?© Universität Twente

Wie die Forscher beobachteten, lagern sich die Öltropfen mit der zunehmenden Verdunstung des Alkohols nach und nach zu einem Ring zusammen. Dieser bildet in Phase Drei der Verwandlung die äußere Hülle des Ouzo-Tropfens. Der Tropfen ist nun nicht mehr vollständig rund. Stattdessen zeigen sich zwischen dem Ölring und der hydrophoben Oberfläche deutlich erkennbare Kanten.

Nur zwei Minuten sind vom Beginn des Experiments bis zur Bildung des Ölrings und der Formänderung des Tropfens vergangen. Ist der gesamte Alkohol verdunstet, wird der Tropfen wieder transparent. Nun muss lediglich noch das Wasser aus dem Inneren des Ölrings vollständig verdunsten. Wie Tans Team berichtet, wächst der Ring dabei auf das Zentrum des Tropfens zu. Am Ende des Prozesses bleibt er als reiner Anisöl-Tropfen zurück.

Nutzen für Medizin und Technik

Mit ihrem Experiment liefern die Wissenschaftler nicht nur interessanten Gesprächsstoff für die nächste Party. Tatsächlich haben ihre Erkenntnisse einen praktischen Nutzen: „Das Verdunstungsverhalten von Flüssigkeiten studieren Forscher bereits seit etlichen Jahren. Noch nie aber hat jemand die Verdunstung einer Mischung aus drei Komponenten mit der Löslichkeit und den verschiedenen Flüchtigkeiten wie beim Ouzo untersucht“, schreibt das Team.

Zu wissen, durch welche Mechanismen sich die einzelnen Bestandteile einer solchen ternären Mischung voneinander trennen, könnte für Industrie und Wissenschaft durchaus von Bedeutung sein. „Wir können auf diese Weise die Bedingungen ausmachen, unter denen sich bestimmte Komponenten aus einer Flüssigkeit am einfachsten extrahieren lassen“, sagen die Wissenschaftler. Demnach sei ihre Forschung etwa für die Medizin interessant oder könnte Technologien wie den Tintenstrahl- oder 3D-Druck beeinflussen, bei denen ebenfalls komplexe Fluide zum Einsatz kommen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1602260113)

(Universität Twente, 18.07.2016 – DAL)

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