Jungbrunnen für die Muskeln: Ein Wirkstoff aus dem Granatapfel erweist sich als wirksames Anti-Aging-Mittel. Denn das Urolithin A bekämpft die alterstypische Muskelschwäche, indem es das „Aufräumsystem“ der Muskelzellen reaktiviert, wie Experimente belegen. Bekamen Mäuse-Senioren einige Wochen lang diese Substanz verabreicht, stieg ihre Muskelausdauer dadurch wieder um 42 Prozent, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Medicine“ berichten. Erste klinische Studien mit Menschen sollen bereits begonnen haben.
Granatäpfel gelten schon länger als ausgesprochen gesundes „Superfood“. Denn sie enthalten viel Vitamin C und Ellagtannin, ein Polyphenol, dem unter anderem krebsvorbeugende Wirkung zugeschrieben wird. In unserem Darm wird das Ellagtannin von den dort vorkommenden Mikroben in Ellagsäure und dann in Urolithine umgewandelt. Wie genau diese Urolithine wirken und was passiert, wenn man sie direkt einnimmt, war bislang jedoch ungeklärt.
Das hat sich nun geändert: Johan Auwerx von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und seine Kollegen haben in Experimenten mit Fadenwürmern und Mäusen erstmals die Wirkung von Urolithin A auf einen wichtigen Aspekt des Alterns getestet: die Alterung der Muskelzellen und damit die Ursache der altersbedingten Muskelschwäche, auch Sarkopenie genannt.
Mitochondrien-Müll in der Zelle
Normalerweise sorgen zelleigene Aufräum-Prozesse dafür, dass fehlerhafte und nicht mehr funktionierende Zellbestandteile entsorgt werden. Auch die Kraftwerke der Zelle, die Mitochondrien, können durch Mutationen geschädigt sein und müssen dann beseitigt werden, damit die verbleibenden besser arbeiten können. Doch in höherem Alter geschieht dies nicht mehr.
„Die Mitophagie lässt nach, wenn wir älter werden“, erklärt Koautor Patrick Aebischer von der EPFL. In den Muskeln reichern sich als Folge nicht mehr funktionierende Mitochondrien an und verhindern, dass neue, leistungsfähige Zellkraftwerke gebildet werden. „Die Reduktion der mitochondrialen Funktion gilt als eine der Hauptursachen der altersbedingten Muskelschwäche“, so Aebischer.
Langlebige Würmer und ausdauernde Mäuse-Senioren
Doch wie sich nun zeigt, kann Urolithin A dieses Nachlassen der zelleigenen Mitophagie bremsen und sogar wieder rückgängig machen. Für ihre Studie verabreichten die Forscher Fadenwürmern und Mäusen mit dem Futter verschiedenen Dosen von Urolithin A. Bei den kurzlebigen Fadenwürmern zeigte sich der Effekt sehr schnell: Die Würmer, die den Granatapfel-Wirkstoff bekommen hatten, lebten mehr als 45 Prozent länger als ihre Altersgenossen.
Ältere Mäuse, die mehrere Wochen lang täglich 50 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht Urolithin A bekommen hatten, schnitten hinterher in Tests auf dem Laufrad und in Greiftests deutlich besser ab als vorher und auch als ihre Altersgenossen: Ihre Griffstärke war um neun Prozent gestiegen, ihre Ausdauer beim Rennen erhöhte sich im Mittel um 42 Prozent, wie die Forscher berichten.
Mitophagie reaktiviert
Bei beiden Tierarten stellten die Wissenschaftler zudem klare Unterschiede in der Mitophagie der Muskelzellen fest: In den Zellen der behandelten Tiere fanden sich weniger beschädigte und leistungsschwache Mitochondrien als bei ihren Altersgenossen. „Die verbleibenden Mitochondrien aber waren robust und dazu fähig, den Energiebedarf der Zellen zu decken“, berichten Auwerx und seinen Kollegen.
Nach Ansicht der Forscher ist dies ein Meilenstein der Anti-Aging-Forschung. „Es ist das einzige bisher bekannte Molekül, das den mitochondrialen Aufräum-Prozess reaktivieren kann“, erklärt Aebischer. Zumindest für die Muskelzellen scheint der Granatapfel-Wirkstoff wie ein Jungbrunnen zu wirken. „Die Wirkung von Urolithin A ist stark und messbar und noch dazu handelt es sich um eine komplett natürliche Substanz.“
Erste klinische Studien laufen bereits
Die Wissenschaftler halten es für durchaus wahrscheinlich, dass das Urolithin A auch beim Menschen die Muskelalterung aufhalten kann. „Wenn so evolutionär entfernte Arten wie Fadenwürmer und Mäuse auf die gleiche Weise auf diesen Granatapfel-Wirkstoff reagieren, dann spricht dies dafür, dass wir an einem fundamentalen Mechanismus aller lebenden Organismen ansetzen“, so Aebischer.
Aebischer und seine Kollegen sind so überzeugt von ihrem Fund, dass sie ein Start-up-Unternehmen gegründet haben. In diesem haben sie bereits Methoden entwickelt, um Urolithin A genau dosiert verabreichen zu können. Eine erste klinische Studie mit Menschen hat bereits in mehreren europäischen Kliniken begonnen, wie sie berichten.
Allerdings: Wer nun massenhaft Granatäpfel kauft und isst, sollte nicht zu viel erwarten. Denn das Urolithin A wird nur dann in unserem Darm produziert, wenn unsere Darmflora die richtige Zusammensetzung hat. Daher kann es sein, dass das Granatapfel-Abbauprodukt in unserem Körper gar nicht oder nur in sehr geringer Menge entsteht. Unter anderem deshalb setzen die Forscher auf die direkte Gabe des Urolithins. (Nature, Medicine, 2016; target=“_blank“> doi: 10.1038/nm.4132)
(École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), 12.07.2016 – NPO)