Ökologie

Der Mensch als Schöpfer neuer Arten

Anthropogene Aktivitäten treiben die Evolution voran

Ist auf ein Leben im städtischen Untergrund spezialisiert: die London Underground-Mücke © Walkabout12/ CC-by-sa 3.0

Positiver Einfluss: Der Mensch ist nicht nur für das Aussterben vieler Pflanzen und Tiere verantwortlich – er trägt auch zur Bildung neuer Arten bei. Städtische Lebensräume oder die Landwirtschaft sind zwei von vielen menschlichen Faktoren, die neue Spezies hervorbringen, wie Forscher nun berichten. Demnach ist unser Beitrag zur Biodiversität durchaus beachtlich. Das weltweite Artensterben bleibt dennoch ein Problem.

Tausende Lebewesen sind weltweit vom Aussterben bedroht – und schuld daran ist in den meisten Fällen der Mensch. Anthropogene Einflüsse, vom Klimawandel bis hin zur Landnutzung, zerstören auf der ganzen Welt Lebensräume für Tiere und Pflanzen. So ist die biologische Vielfalt allein in den vergangenen vier Jahrzehnten um die Hälfte geschrumpft. Experten sind sich einig: Die aktuellen Aussterberaten könnten bald zu einem sechsten Massenaussterben führen.

Doch der Mensch trägt nicht nur zum Aussterben von Arten bei, im Gegenteil: Er treibt mit seinem Tun auch die Evolution voran und sorgt dadurch dafür, dass sich vielerorts ganz neue Spezies entwickeln. Wissenschaftler um Joseph Bull vom Biologisk Institut an der Universität Kopenhagen haben sich nun diesem positiven Einfluss der Menschheit auf die Biodiversität gewidmet.

Neue Mücke im Londoner Untergrund

In ihrer Studie fassen die Forscher zusammen, wie menschliche Aktivitäten die Entwicklung neuer Arten beeinflussen können – und berichten von erstaunlichen Beispielen. „Der Mensch kurbelt die Evolution unter anderem durch die Domestizierung von Tieren und Pflanzen an, durch die Jagd, das Einführen invasiver Arten oder die Schaffung neuer Ökosysteme“, berichten Bull und seine Kollegen.

Etliche solcher neuen Lebensräume bietet den Wissenschaftlern zufolge die Stadt. Während manche Arten durch die voranschreitende Urbanisierung verdrängt werden, finden andere dadurch neue ökologische Nischen. So hat sich in London etwa die Gemeine Stechmücke (Culex pipiens) an ein Leben im U-Bahn Netz der Stadt angepasst. Die im Untergrund lebende Population hat sich dabei so sehr weiterentwickelt, dass sie sich nicht mehr mit ihren über der Erde lebenden Verwandten paaren kann. Forscher sprechen inzwischen offiziell von der London Underground-Mücke.

Mehr Pflanzen durch Hybridisierung

Ebenso unbewusst trägt der Mensch auch bei der Jagd und seinem Reiseverhalten zur Etablierung neuer Arten bei: „Unnatürliche Selektion durch die Jagd kann bei Tieren zu neuen Eigenschaften führen und letztendlich zu neuen Spezies“, berichten die Forscher. „Und bringen wir Arten aus fremden Ländern mit, können sie sich hier mit heimischen kreuzen.“ Durch diesen Mechanismus seien in den vergangenen drei Jahrhunderten allein in Europa mehr neue Pflanzenspezies entstanden als ausgestorben sind.

Viel gezielter schafft der Mensch vor allem in der Landwirtschaft neue Arten: Wir züchten Tiere und Pflanzen so, dass sie unseren Vorstellungen entsprechen: Vieh soll leistungsstark sein und viel Fleisch oder Milch einbringen, Pflanzen müssen widerstandfähig sein und möglichst viele Früchte tragen. „Einer jüngsten Untersuchung zufolge sind mindestens sechs der vierzig bedeutendsten Getreidesorten weltweit ganz neue, vom Menschen kreierte Arten“, schreibt Bulls Team.

Alles halb so schlimm?

Doch wie groß ist unser Beitrag zur Biodiversität wirklich? Diese Frage können die Wissenschaftler nicht genau beantworten. Eine exakte Quantifizierung sei schwierig: „Der Einfluss ist aber auf jeden Fall beträchtlich“, so ihr Fazit. Demnach scheint es um das viel diskutierte Artensterben gar nicht so schlimm bestellt zu sein – alles halb so wild, könnte man meinen.

Genau vor dieser Schlussfolgerung warnen Bull und seine Kollegen jedoch vehement. „Die künstliche Hinzugewinnung neuer Arten kann den Verlust „natürlicher“ Arten nicht ohne weiteres ausgleichen – selbst wenn rein zahlenmäßig die Artenvielfalt gleichbleiben würde“, sagt Bull. Eine solche Vorstellung sei schon aus rein psychologischer Sicht für viele Menschen nicht akzeptabel und auch ökologisch gesehen wenig sinnvoll. Der Artenschutz bleibe weiterhin wichtig.

Allerdings: „Neben der menschengemachten Ausrottung von Arten auch die Artbildung in Betracht zu ziehen, kann unser Verständnis davon verbessern, wie unser Verhalten die globale Artenvielfalt beeinflusst“, schließen die Forscher. „Wir als Gesellschaft müssen nun darüber diskutieren, was wir an der Natur erhalten wollen.“ (Proceedings of the Royal Society B, 2016; doi: 10.1098/rspb.2016.0600)

(Universität Kopenhagen, 29.06.2016 – DAL)

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