Der Botenstoff Oxytocin kann auf Männer und Frauen sehr unterschiedlich wirken – vor allem wenn es um den ersten Eindruck von neuen Bekanntschaften geht. Wie ein Experiment nun zeigt, lässt das Hormon das weibliche Geschlecht in solchen Situationen verstärkt auf positive Signale eingehen. Die Herren der Schöpfung sind unter Oxytocin-Einfluss hingegen negativer gestimmt – und fühlen sich eher mit Menschen verbunden, die sich kritisch über andere äußern.
Oxytocin gilt als Kuschelhormon mit breitem Wirkspektrum: Der Botenstoff stärkt unter anderem die Paarbeziehung, wirkt als rosa Brille und fördert die emotionale Bindung von Mutter und Kind. Darüber hinaus mischt das Hormon auch beim Orgasmus mit und hilft sogar bei der Bewältigung von Ängsten.
„Oxytocin erhöht allgemein die Sensitivität für soziale Reize“, sagen Wissenschaftler um Shan Gao von der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu. Deshalb spiele der Botenstoff auch eine große Rolle für den ersten Eindruck, den neue Bekanntschaften hinterlassen. Doch dabei wirkt das Hormon bei Männern und Frauen offensichtlich nicht auf die gleiche Weise, wie das Team nun herausgefunden hat.
Der erste Eindruck im Test
Für ihre Studie testeten die Forscher, wie sich der Einfluss von Oxytocin bei beiden Geschlechtern auf die Bewertung fremder Personen und deren Meinungsäußerungen auswirkt. Dafür zeigten sie 80 Studienteilnehmern Fotos von verschiedenen Personen – gemeinsam mit Zitaten, in denen sich diese entweder sehr positiv oder sehr kritisierend und negativ über andere Mitmenschen äußerten. Die Probanden sollten nun angeben, ob ihnen die jeweilige Meinungsäußerung der auf den Fotos gezeigten Personen sympathisch oder unsympathisch war.
Vor Beginn des Versuchs war den Männern und Frauen über ein Nasenspray entweder Oxytocin verabreicht worden oder ein Placebo. Im Magnetresonanztomographen beobachteten die Wissenschaftler, dass das Kuschelhormon bei beiden Geschlechtern die Gehirnaktivität in der Amygdala veränderte: Die für die emotionale Bewertung von Informationen zuständige Struktur war unter dem Einfluss des Botenstoffs deutlich aktiver.
Frauen mögen’s positiv – und Männer negativ
Allerdings schien sich das Oxytocin bei Männern erstaunlicherweise ganz anders auszuwirken als bei Frauen: Weibliche Probanden reagierten nach einer Dosis des Hormons stärker auf positive Botschaften und empfanden deutlich mehr Sympathie für Personen, die mit lobenden Aussagen verbunden waren.
Bei den Männern steigerte Oxytocin hingegen die Zustimmung zu Fotos, die mit sehr kritischen Meinungsäußerungen in Zusammenhang standen. „Das ist ein überraschender Befund, denn Oxytocin wirkt ansonsten bei Frauen und Männern in vielen Situationen sehr ähnlich“, so das Team.
Oxytocin verstärkt Konkurrenzangst
Doch wie erklären sich die Forscher diesen frappierenden Unterschied? Ihnen zufolge kommen bei diesen Ergebnissen zwei unterschiedliche, geschlechtsspezifische Modelle zum Tragen, die in der Wissenschaft schon länger diskutiert werden. Demnach fühlen sich Frauen in sozialen Gruppen eher wohl und betonen stärker die positiven Aspekte.
Männer hingegen fürchten viel mehr die Konkurrenz durch ihre Artgenossen und scheinen deshalb emotional negativer eingestellt zu sein. „Diese Tendenz scheint das Oxytocin zu verstärken“, fassen die Wissenschaftler zusammen. „Frauen fühlen sich unter dem Einfluss des Hormons nicht so schnell bedroht wie Männer.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1602620113)
(Universität Bonn, 22.06.2016 – DAL)