„Unmögliche“ Tröpfchen: US-Forscher haben bei Nanostäbchen ein Verhalten beobachtet, dass allen physikalischen Gesetzen zu widersprechen scheint. Denn diese Stäbchen geben bei hoher Luftfeuchte Wasser ab, statt es aufzunehmen, wie es normal wäre. Wie die Forscher in „Nature Nanotechnology“ berichten, liefert eine vor 20 Jahren postulierte Theorie eine Erklärung für dieses „schockierende“ Verhalten – und denkbare Anwendungen gäbe es auch.
Es begann mit einem Fehlschlag: Satish Nune vom Pacific Northwest National Laboratory (PNNL) in Richland und seine Kollegen wollten für ein Experiment magnetische Nanodrähte auf Kohlenstoffbasis herstellen, als auf ihrem Ansatz plötzlich Nanostäbchen der ungeplanten Sorte heranwuchsen. Während die Forscher dann diese winzigen Stäbchen unter dem Mikroskop näher untersuchten, fiel ihnen Seltsames auf: Die Nanostäbchen gaben Wasser ab.
Prinzipiell ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Material Wasser abgibt. Normalerweise geschieht dies jedoch nur, wenn die Luftfeuchtigkeit zunächst so hoch ist, dass das Material genügend Wasserdampf absorbieren kann. Sinkt dann die Luftfeuchtigkeit in der Umgebung, gibt es den angesammelten Überschuss wieder ab. Absorption und Abgabe stehen im Gleichgewicht mit der Feuchte der Umgebung.
Rätselhaftes Verhalten
Doch bei den seltsamen Nanostäbchen war dies genau umgekehrt: Die Forscher beobachteten Wasserdampf und winzige Tröpfchen immer dann, wenn die Umgebungsfeuchte auf über 50 bis 80 Prozent anstieg. Gleichzeitig verloren die Stäbchen messbar an Masse – bis zur Hälfte ihres Gesamtgewichts. Sank dagegen die Umgebungsfeuchtigkeit unter 50 Prozent ab, absorbierten die Stäbchen wieder Wasserdampf und wurden schwerer.
Den Forschern erschien dieses Verhalten so unglaublich, dass sie zunächst an einen Messfehler glaubten. Sie wiederholten daher die Versuche mehrfach. „Aber jedes Mal beobachteten wir das gleiche Verhalten“, berichten sie. Aber warum? Lag es an einer exotischen Oberflächenchemie der Stäbchen? Fand dort eine reversible chemische Reaktion statt? Oder spielt die physikalische Beschaffenheit eine Rolle?
Enger Kontakt
Als die Forscher die wissenschaftliche Literatur nach ähnlichen Phänomen durchforsteten, wurden sie fündig: Bereits 1990 hatten Wissenschaftler vermutet, dass sehr kleine Strukturen aus hydrophobem Material Wasser dazu bringen können, spontan von ihrer Oberfläche zu verdunsten. Dies geschieht dort, wo Teile dieses Materials zusammengestoßen und daher über Anziehungskräfte miteinander wechselwirken.
Könnte dieser Prozess auch bei den Nanostäbchen wirken? Bei näherer Untersuchung stellten Nune und seine Kollegen fest, dass die Wasserabgabe ihrer Stäbchen tatsächlich überall dort stattfand, wo sich benachbarte Stäbchen berührten. Unter dem Einfluss von Kapillarkräften kondensiert zunächst ein winziger Tropfen Wasser. Dies führt dazu, dass die benachbarten Stäbchen enger zueinander gezogen werden, gleichzeitig wölbt sich die Oberfläche des Tropfens immer stärker nach unten.
Plötzliche Umkehr
Ab einem kritischen Abstand von 1,5 Nanometern jedoch kippt das Ganze um: „Die Wände werden nun durch den wachsenden Tropfen stark genug zusammengezogen, um den Meniskus des Wassers umzukehren“, erklären die Forscher. Aus der anfangs konvexen, nach unten eingesenkten Oberfläche wird ein nach oben gewölbter Tropfen. „Wenn sich jedoch die Oberflächenkrümmung abrupt ändert, dann kann dies eine plötzliche Verdunstung des Tropfens auslösen.“
Diese Verdunstung geschieht durch eine Art Kavitation: Der Tropfen verliert plötzlich seine Stabilität und implodiert. Dabei geht das Wasser in den gasförmigen Zustand über. „Dies ist unseres Wissens nach die erste experimentelle Beobachtung einer solchen einengungsbedingten Flüssigkeits-Kavitation in einem Nanomaterial“, konstatieren Nune und seine Kollegen.
Trinkwasserlieferant und Schweißabsorber
Dieses Phänomen könnte auch ganz neue, praktische Anwendungen erlauben: „Jetzt, wo wir über den anfänglichen Schock hinweg sind, können wir uns viele Möglichkeiten vorstellen, durch die dieses Phänomen unsere Lebensqualität verbessern könnte“, sagt Koautor David Heldebrant vom PNNL.
So könnten diese Stäbchen dafür genutzt werden, um Wasser selbst in Wüstengebieten aus der Luft zu absorbieren und dann gezielt abzugeben – beispielsweise zur Trinkwassergewinnung oder Bewässerung. Die Nanostäbchen könnten aber auch in Hightech-Textilien integriert werden, die Schweiß an der Innenseite absorbieren und an der Außenseite als Dampf abgeben.
„Aber bevor wir diese Nanostäbchen einsetzen können, müssen wir erst ihre Form und Größe besser kontrollieren können“, erklärt Nune. Denn bisher haben nur rund zehn bis 20 Prozent der erzeugten Stäbchen die richtigen Eigenschaften, um dieses Verhalten zu zeigen. Gleichzeitig suchen die Forscher bereits nach weiteren Materialien mit diesen Merkmalen. (Nature Nanotechnology, 2016; doi: 10.1038/nnano.2016.91)
(DOE/ Pacific Northwest National Laboratory, 14.06.2016 – NPO)