Archäologie

Rätselhaftes Höhlen-Bauwerk der Neandertaler entdeckt

Ringförmige Tropfstein-Konstruktion ist bereits 176.000 Jahre alt

Blick auf die Überreste der Tropfstein-Kreise in der Bruniquel-Höhle © Etienne FABRE/ SSAC

Sensationelle Entdeckung: In einer Höhle in Südfrankreich haben Archäologen die möglicherweise älteste Konstruktion der Menschheit entdeckt. Es handelt sich um mehrere Kreise aus aufgestellten Tropfsteinstücken, von denen viele Brandspuren tragen. Die rätselhaften Tropfstein-Kreise sind rund 176.000 Jahre alt und können daher nur von Neandertalern errichtet worden sein – wozu, ist bisher unbekannt, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

In den letzten Jahren haben archäologische Funde gezeigt, dass die Neandertaler in Vielem weit fortschrittlicher waren, als man es ihnen früher zugetraut hätte. So stellten sie bereits effiziente Spezial-Werkzeuge her, schufen Schmuck und frühe Felskunst. Als Baumeister jedoch taten sie sich noch nicht hervor – erste Zeugnisse von baulichen Konstruktionen waren bisher erst aus der Zeit vor rund 20.00 Jahren bekannt.

Doch eine überraschende Entdeckung könnte nun unser Bild des Neandertalers auch in dieser Hinsicht revolutionieren. In der Bruniquel-Höhle im Südwesten Frankreichs haben Jacques Jaubert von der Universität von Bordeaux und seine Kollegen menschengemachte Konstruktionen Konstruktionen gefunden, die nur von den Neandertalern stammen können.

Rätselhafte Tropfstein-Kreise

Es handelt sich dabei um auf mehrere fast kreisförmige Anordnungen von Tropfstein-Stücken in einer großen Kammer rund 336 Meter vom Höhleneingang entfernt. Sie bilden zwei große, fast geschlossene Ringe von sechs und gut zwei Metern Durchmesser, sowie vier kleinere Gebilde, wie die Forscher berichten. Insgesamt 400 Tropfsteinstücke von jeweils durchschnittlich 35 Zentimeter Länge wurden für diese Konstruktionen aufgestellt und teilweise übereinander geschichtet.

Die 176.000 Jahre alte Konstruktion besteht aus zwei größeren Kreisen und vier kleineren Gebilden. © Xavier MUTH - Get in Situ, Archéotransfert, Archéovision -SHS-3D, base photographique Pascal Mora

„Einige Stalagmiten wurden vertikal gegen die Hauptstruktur gestellt, ähnlich wie Stützen, um die Konstruktion vielleicht zu verstärken“, berichten die Wissenschaftler. Die gleichmäßige Größe der Fragmente und ihre Anordnung sprechen ihrer Ansicht nach dafür, dass es sich hier um keine natürliche Formation handelt, sondern um ein absichtlich errichtetes Bauwerk. Ein weiteres Indiz dafür liefern Feuerspuren an den Steinen sowie an einigen in der Nähe entdeckten Tierknochen.

Neandertaler als Baumeister

Doch wer waren die Baumeister dieser rätselhaften Höhlen-Konstruktionen? Eine Datierung mit Hilfe von Isotopenmessungen ergab, dass diese Tropfsteinkreise vor rund 176.000 Jahren errichtet worden sein müssen. „Die einzige menschliche Population, die in dieser Periode in Europa lebte, waren frühe Neandertaler“, so Jaubert und seine Kollegen. Ihrer Ansicht müssen diese seltsamen Steinkreise daher von ihnen errichtet worden sein.

Allerdings: Dass diese Frühmenschen so tief in Karsthöhlen eindrangen, wo es kein Licht mehr gab, ist äußerst ungewöhnlich. „Bisher gab es keine Belege für regelmäßige Exkursionen der Neandertaler in Höhlen, bis auf einige mögliche Fußabdrücke“, so die Forscher. Generell waren Konstruktionen innerhalb von Höhlen bisher aus der Altsteinzeit völlig unbekannt.

Ein Forscher bohrt in den Höhlenboden, um Proben für die Datierung zu erhalten. © Michel SOULIER/ SSAC

In zweifacher Hinsicht einzigartig

„Die Entdeckung der Bruniquel-Konstruktionen und ihre Zuordnung zu den Neandertalern ist auf gleich zweifache Weise beispiellos“, konstatieren Jaubert und seine Kollegen. Zum einen ist sie der erste Beleg für die Nutzung tiefer Höhlen durch eine prämoderne Menschenart. „Dies stellt einen bedeutenden Schritt für die Modernität des Menschen dar“, so die Forscher.

Zum anderen handelt es sich um Konstruktionen, die so noch nie gefunden wurden. „Sie sind erstellt aus hunderten von kalibrierten, zerbrochenen Stalagmiten, die absichtlich bewegt und an ihren jetzigen Platz gebracht wurden“, sagen die Wissenschaftler. Diese Kreise sind damit bereits erstaunlich ausgearbeitet und gehören zu den ältesten bekannten Bauwerken der Menschheit.

Ritual-Kreise oder einfach eine Zuflucht?

Die Entdeckung dieser Tropfstein-Kreise bestätigt, dass die Neandertaler schon in ihrer Frühzeit deutlich weiter entwickelt gewesen sein müssen als lange angenommen. Denn sie nutzten nicht nur Feuer und eroberten die Dunkelheit tiefer Höhlen, sie gestalteten auch ihre Umwelt nach ihren Bedürfnissen und errichten dafür Konstruktionen.

Die seltsamen Höhlen-Kreise werden aber auch einige neue Fragen auf: Was war die Funktion dieser Strukturen – so weit vom Höhleneingang entfernt? Warum finden sich die meiste Feuerspuren nicht am Höhlenboden, wo man sie erwarten würde, sondern oben auf der Tropfstein-Konstruktion?

„Ausgehend von unserem Wissen über die Höhlennutzung in der späten Altsteinzeit würden wir annehmen, dass diese Gebilde eine Art rituellen oder symbolisches Verhalten repräsentierten“, sagen die Forscher. „Aber vielleicht dienten sie ja auch einer bisher unbekannten Alltagsnutzen oder einfach als Zuflucht? Künftige Forschungen müssen nun versuchen, hier Antworten zu finden.“ (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature18291)

(Nature, 26.05.2016 – NPO)

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