Chemisch verschlüsselt: Forscher haben ein fluoreszierendes Molekül entwickelt, das zur Chiffrierung geheimer Botschaften genutzt werden kann. Der molekulare Sensor reagiert auf zahlreiche Chemikalien mit spezifischen Strahlungsmustern. Diese dienen als Verschlüsselungscode. Decodieren kann die Nachricht nur, wer einen identischen Sensor besitzt – und zudem die verwendete Chemikalie kennt.
Wie von Geisterhand verblassende Botschaften, die erst durch die richtige Behandlung mit Hitze oder einer Säure aus dem Chemiekasten wieder zum Vorschein kommen: Das klingt nach Agentenspielen im Kinderzimmer. Tatsächlich aber sind Geheimtinten seit jeher mehr als nur eine Spielerei. Schon Plinius der Ältere soll für seine Korrespondenz Geheimtinte aus der Wolfsmilchpflanze genutzt haben – und heute dient Sicherheitstinte beispielsweise dazu, die Echtheit von Dokumenten sicherzustellen.
Auf der Suche nach neuen Wegen, Nachrichten unter Ausnutzung chemischer Prozesse möglichst sicher zu verschlüsseln, lassen sich Wissenschaftler immer raffiniertere Verfahren einfallen. So haben Forscher bereits eine sich selbst auslöschende Tinte auf Basis von Nanopartikeln entwickelt sowie eine Hightech-Geheimtinte, die nur unter speziellen Lesegeräten sichtbar wird. Sogar in DNA-Molekülen haben Wissenschaftler bereits Botschaften versteckt.
Emissionsspektrum als Verschlüsselungscode
Ein Team um Tanmay Sarkar vom Weizmann Institute of Science in Israel hat nun eine weitere Methode erprobt, um Nachrichten mithilfe von Chemie ver- und wieder entschlüsseln zu können: Die Chemiker entwickelten einen fluoreszierenden molekularen Sensor. Dieser erzeugt unter dem writing uvEinfluss unterschiedlicher Chemikalien charakteristische Emissionsmuster und generiert auf diese Weise einen Verschlüsselungscode.
Der kleine Geheimtinten-Sensor besteht aus einem Aminosäuren-Gerüst, an das drei fluoreszierende Farbstoffe angehängt sind. Darüber hinaus enthält das Molekül zahlreiche Bindungsstellen für verschiedene chemische Stoffklassen – von im Supermarkt erhältlichen Lösungsmitteln, über Metallionen bis hin zu Kohlenhydraten.
„Durch die Vielzahl dieser künstlichen Rezeptoren können ganz unterschiedliche Stoffe an den Sensor binden“, erklären die Forscher. „Jede Chemikalie, die an den Sensor andockt, beeinflusst seine Fluoreszenz auf eine ganz spezifische Art und Weise.“ Das heißt: Die Stoffe verändern die Eigenschaften der fluoreszierenden Farbstoffe. Der Sensor generiert demnach mit jedem gebundenen Stoff ein einzigartiges Emissionsspektrum – ähnlich eines individuellen Fingerabdrucks.
Zahlenspiele mit Wellenlängen
Doch wie kann man mithilfe dieses Sensors nun Botschaften chiffrieren? „Er funktioniert wie die aus dem Zweiten Weltkrieg bekannte Enigma-Maschine: Er verschlüsselt Text, indem er jedem Buchstaben eine quasi zufällige Zahl zuordnet“, schreiben die Wissenschaftler.
In der Praxis läuft die Chiffrierung folgendermaßen ab: Zunächst muss der Sender seinen Text mithilfe eines alphanumerischen Codes in eine Zahlenreihe übersetzen. Dieser Code muss nicht geheim sein und kann auch für spätere Verschlüsselungen genutzt werden. Denn der interessante Schritt kommt erst danach: Nun wird der molekulare Sensor in eine Ethanollösung gegeben und eine beliebige Chemikalie hinzugefügt.
Der Sensor leuchtet nun in einem spezifischen Muster, das man graphisch aufzeichnen kann. Dieses Emissionsmuster liefert den relevanten Verschlüsselungscode. Der Sender liest auf dem Graphen für bestimmte Wellenlängen die Strahlungsintensität ab. Diese Werte addiert er nun zu den ursprünglichen Zahlen seiner Sequenz: Den Wert der ersten Ablesestelle addiert er zum Zahlenwert des ersten Buchstabens seiner Botschaft usw. Damit ist die Nachricht sicher verschlüsselt und kann per Email, Post oder auf einem anderen Weg weitergeleitet werden.
Kinderleichte Entschlüsselung
Wer die ursprüngliche Botschaft lesen möchte, braucht erstens einen identischen molekularen Sensor und muss zweitens wissen, welche Chemikalie der Sender verwendet hat. Wichtig ist auch, dass der Empfänger den Sensor in den gleichen Ausgangszustand versetzt wie der Sender, zum Beispiel den Sensor in der gleichen Konzentration verwendet und ihn in die gleiche Lösung taucht.
Auf diese Weise kann er die Verschlüsselung knacken, indem er die Strahlungswerte von der Zahlensequenz abzieht und das Ergebnis dann lediglich noch mit dem bekannten alphanumerischen Code in Text zurückübersetzt. Dass das tatsächlich kinderleicht ist, zeigte ein Experiment mit zwölf Personen, die 23 Nachrichten dechiffrieren mussten. Sie schafften es, alle Botschaften zu decodieren.
Noch mehr Sicherheit dank chemischem Passwort
Für noch mehr Sicherheit entwickelte Sakars Team zwei weitere Mechanismen, die die Nachricht vor unautorisierten Augen schützen sollen: Ähnlich wie bei einem Passwort können zusätzlich zu der Chemikalie Metallsalze in einer vorgegebenen Reihenfolge zu der Lösung hinzugegeben werden, bevor der Verschlüsselungscode generiert wird. Nur wer die Chemikalie und das Passwort kennt, kann die Botschaft dann richtig entschlüsseln.
Außerdem können kleine Mengen des Sensors zum Beispiel auf herkömmlichem Papier aufgetragen werden. Er ist so schwieriger zu entdecken und nachzumachen, wie die Forscher berichten. Ihre Methode sei damit nicht nur erstaunlich sicher und einfach anzuwenden, sie biete auch unbegrenzte Möglichkeiten: „Es gibt unzählige chemische Strukturen, die man theoretisch für das Verfahren nutzen könnte. Und das heißt: Nachrichten können im Prinzip in jedem Molekül um uns herum versteckt werden“, schließen die Wissenschaftler. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms11374)
(Weizmann Institute of Science, Rehovot, 04.05.2016 – DAL)