Geowissen

Jiddisch: Doch nicht in Deutschland entstanden?

Genvergleiche verorten die Wurzeln des Jiddischen in der Nordost-Türkei

Das Jiddische wird mit hebräischen Buchstaben geschrieben, klingt aber beim Sprechen dem Deutschen sehr ähnlich. © gemeinfrei

Überraschende Wurzeln: Bisher galt Deutschland gemeinhin als Ursprung des Jiddischen. Doch neue Analysen des Erbguts aschkenasischer Juden deutet nun auf ganz andere Wurzeln dieser Sprache hin: Sie könnte vor rund 1.000 Jahren im Nordosten der Türkei entstanden sein – in einem von vielen Juden bewohnten Handelszentrum an der Seidenstraße. Erst ihre Nachfahren brachten diese Sprache dann nach Mitteleuropa, wie Forscher berichten.

Das Jiddische, die ursprüngliche Sprache der aschkenasischen Juden, wird schon seit mehr als tausend Jahren gesprochen und vereint in sich sowohl viele deutsche, als auch hebräische und slawische Wörter und Sprachelemente. Wo jedoch die Wurzeln dieser Sprache liegen, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Gängiger Theorie nach entwickelte sich das Jiddisch aber aus dem Mittelhochdeutschen – das soll die vielen deutschen Ähnlichkeiten zum Deutschen erklären.

Doch Eran Elhaik von der University of Sheffield und seine Kollegen haben nun Indizien für einen ganz anderen Ursprung dieser Sprache entdeckt. Sie stützen die Annahme, dass das Jiddische nicht aus Deutschland, sondern aus dem Mittleren Osten stammt – wofür auch die eher dem Slawischen und Iranischen verwandte Grammatik sprechen könnte.

Der Spur der Gene folgend

„Sprache, Geografie und Genetik sind eng miteinander verknüpft“, erklärt Elhaik. Wenn sich Menschen und Volksstämme im Laufe ihrer Geschichte ausbreiten oder wandern, dann nehmen sie ihre Sprache ebenso mit wie ihre Gene. Für ihre Studie analysierten die Forscher daher das Erbgut von 367 aschkenasischen Juden, die an einem Stammbaumprojekt teilgenommen hatten. Rund die Hälfte der Teilnehmer stammte von rein jiddisch sprechenden Vorfahren ab, die andere nicht.

Im Genom dieser Teilnehmer verglichen die Forscher DNA-Sequenzen, die für bestimmte Populationen typisch sind. „Vereinfacht gesagt schließt unser System schließt auf die geografische Abstammung eines Menschen, indem es die Anteile seiner Genmischung mit denen von Referenzpopulationen vergleicht, von denen man weiß, dass sie zu einer bestimmten Zeit in einer Region lebten“, erklären Elhaik und seine Kollegen.

Den Gendaten nach stammen die Vorfahren der jiddisch sprechenden Aschkenasim aus dem Nordosten der heutigen Türkei. © Karte: NASA

Wurzeln im Nordosten der Türkei

Das überraschende Ergebnis: Die gemeinsame Abstammung der jiddisch sprechenden Aschkenasim ließ sich größtenteils auf ein Gebiet im Nordosten der heutigen Türkei zurückverfolgen. Die Gendaten weisen auf große Ähnlichkeit dieser Juden mit Iranern, Türken und Bewohnern des südlichen Kaukasus hin. „Interessanterweise verortet unser System nahezu alle Vorfahren dieser Aschkenasim in der Nähe des früher von den Skythen bewohnten Gebiets“, berichten die Forscher.

Wie sie erklären, stimmt dies gut der Theorie überein, dass die aschkenasischen Juden Nachfahren der Chasaren sind, einem Volk, das ab 700 nach Christus im nördlichen Kaukasus und am kaspischen Meer lebte. In babylonischen Quellen werden sie als „Askuza“ bezeichnet. Später wurde dieser Begriff zu „Skythen“ verändert und bezeichnete die Nomaden, die später im einstigen Gebiet der Chasaren lebten.

Geheimsprache als Schutz vor Konkurrenz?

Diese Ursprungsregion der jiddischen Aschkenasim lag damals an einem wichtigen Kreuzungspunkt der Seidenstraße mit anderen Handelswegen, wie die Forscher berichten. In diesem kommerziellen Zentrum lebten viele byzantinische Händler, aber auch Angehörige der jüdischen Händlergilde der Radhaniten, die zeitweise den Handel auf dem europäischen Teil der Seidenstraße dominierten.

Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt es nahe, dass diese ihr Monopol in diesem Handel vor Konkurrenz schützen wollten. „Um dies zu erreichen, erfanden sie das Jiddische – eine geheime Sprache, die außer den Juden nur wenige verstanden“, erklärt Elhaik. „Das könnte erklären, warum das Jiddische 251 verschiedene Wörter für ‚kaufen‘ und ‚verkaufen‘ besitzt. Denn das würde man von einer Sprache von Händlern erwarten.

Verräterische Ortsnamen

Und noch ein Indiz gibt es: In diesem Gebiet gab es damals vier Dörfer, die die Namen Iskenaz, Eskenaz, Ashanaz und Ashkuz trugen. Sie könnten ihre Namen vom Begriff „Aschkenasi“ bekommen haben, mutmaßen die Wissenschaftler. „Die Nordost-Türkei ist das einzige Gebiet auf der Welt, in dem diese Ortsnamen existieren“, sagt Elhaik. Das spreche dafür, dass damals viele aschkenasische Juden dort lebten.

Als dann die Nachfahren dieser jüdischen Händler nach Mitteleuropa zogen, nahmen sie auch deutsche Begriffe auf und gaben dem Jiddischen seine heute bekannte Form. (Genome Biology and Evolution, 1016; doi: 10.1093/gbe/evw046)

(University of Sheffield, 21.04.2016 – NPO)

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