Krankmachendes Mitbringsel: Als der Mensch nach Europa und Asien kam, brachte er wahrscheinlich auch schon Erreger von Infektionskrankheiten mit in die neue Heimat – zum Leidwesen seiner Verwandten. Bis dato unbekannte Bakterien wie Helicobacter pylori könnten den Neandertalern zum Verhängnis geworden sein, wie genetische Untersuchungen nahelegen. Womöglich waren die neuen Krankheiten sogar einer der Gründe für ihr Aussterben.
Das nach geologischen Maßstäben relativ plötzliche Verschwinden der Neandertaler vor rund 35.000 bis 40.000 Jahren gibt Anthropologen bis heute Rätsel auf. Die inzwischen ausgestorbenen Verwandten des modernen Menschen wurden damals nahezu vollkommen durch den aus Afrika einwandernden Homo sapiens verdrängt.
Aber warum? Wissenschaftler diskutieren, ob das sich verändernde Klima oder Vulkaneruptionen schuld am Ableben des Neandertalers waren. Vielleicht, so eine andere Vermutung, hatten die moderneren Menschen auch einen bestimmten Wettbewerbsvorteil gegenüber ihrem europäischen Vetter.
Krankheiten als Mitbringsel?
Einer dieser Vorteile könnte eine bessere Anpassung an Krankheitserreger gewesen sein, glauben Charlotte Houldcroft von der Universität Cambridge und ihre Kollegen. Ihre Theorie: Als sich der Homo sapiens von Afrika aus nach Europa und Asien ausbreitete, brachte er Krankheiten mit, die das Immunsystem des Neandertalers nicht kannte. Es war gegen die neuen Viren aus Afrika nicht gewappnet und das könnte dem Homo neanderthalensis schließlich zum Verhängnis geworden sein.
Für ihre Studie haben die Forscher unter anderem Genmaterial von fossilen Knochenfunden ausgestorbener Hominini sowie DNA von modernen Menschen analysiert und dabei nach Hinweisen auf eine Anpassung an bestimmte Erreger gesucht. Außerdem untersuchten sie die Genome einiger Viren und Bakterien.
Neue Erreger aus Afrika
Die Ergebnisse legen nahe, dass manche Erreger erstmals bereits in Afrika auf den Menschen übergingen und sich teils zehntausende bis Millionen Jahre lang parallel mit ihm weiterentwickelten und verbreiteten. Der Magenkeim Helicobacter pylori zum Beispiel infizierte Menschen in Afrika schon vor 88.000 bis 116.000 Jahren. Vor rund 52.000 Jahren gelangte er dann nach und nach Europa, wie die Genanalysen nahelegen.
Das Herpes simplex Virus ist noch älter: Es wurde bereits vor 1,6 Millionen Jahren auf den Menschen übertragen – vermutlich von einer anderen, bisher unbekannten Hominini-Art, schreiben die Forscher. „Das zeigt auch, dass Infektionskrankheiten von einer Hominini-Art auf die andere überspringen konnten.“
Demnach scheint klar: Etliche Infektionskrankheiten sind wahrscheinlich viel älter als gedacht und begannen nicht erst mit dem Aufkommen von Landwirtschaft, den Menschen zu plagen. „Wir finden immer mehr Hinweise darauf, dass Erreger ursprünglich vom Menschen auf seine Tiere übergingen – und nicht umgekehrt,“ sagt Houldcroft.
Übertragung wahrscheinlich
Ob der modernere Mensch seine Krankheitserreger tatsächlich auf den Neandertaler übertrug, ist zwar nicht eindeutig zu beweisen. Laut Houldcroft und ihren Kollegen ist das jedoch mehr als wahrscheinlich.
Schließlich teilten sich der Neandertaler und sein aus Afrika stammender Vetter eine gewisse Zeitlang ein Verbreitungsgebiet – und es gibt sogar Belege dafür, dass sich die beiden Homo-Vertreter miteinander gepaart haben müssen. Beim Sex tauschten Neandertaler und Mensch mit den Körperflüssigkeiten womöglich auch Viren aus.
Mitschuld am Aussterben?
Das Techtelmechtel mit den Neandertalern hinterließ zudem Spuren im Genom der Menschen. Noch heute tragen wir etwa zwei bis fünf Prozent Neandertaler-DNA in uns. Während der Homo sapiens dabei von dem Genmaterial des Neandertalers profitierte und sich so besser an die neue europäische Heimat– inklusive der dort vorkommenden Krankheiten – anpassen konnte, hatte der Neandertaler hingegen offensichtlich weniger Glück.
„Für die Neandertalerpopulation Eurasiens könnten die aus Afrika eingeschleppten Pathogene katastrophale Konsequenzen gehabt haben“, sagt Houldcroft. Geschwächt durch die neuen Erreger verloren die Jäger und Sammler an Fitness – ein möglicher Katalysator für ihr Aussterben. (American Journal of Physical Anthropology, 2016; doi: 10.1002/ajpa.22985)
(Universität Cambridge, 11.04.2016 – DAL)