Krach, der die Entwicklung stört: Sind Frühchen im Krankenhausalltag ständig Lärm ausgesetzt, beeinträchtigt das ihren Tastsinn. In einer lauten Umgebung prägen sie sich dadurch Formen von Objekten schlechter ein als in einer stillen, wie ein Experiment belegt. Womöglich könne sich die Lärmbelastung sogar auf die gesamte neurologische Entwicklung auswirken, warnen Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“.
Dauerhafter oder immer wiederkehrender Lärm kann krank machen. Nicht nur unser Gehörsinn leidet unter anhaltendem Krach. Lärm beeinträchtigt auf Dauer auch das Gehirn, schädigt die Blutgefäße und hat mitunter sogar Folgen für die seelische Gesundheit.
Frühchen leiden schon in ihren ersten Lebenstagen besonders unter Lärm. Im Krankenhaus sind sie konstant einem erhöhten Geräuschpegel ausgesetzt, zum Beispiel durch den Alarmton der Nahrungspumpe. Dass das unter anderem ihren Schlaf und ihre Vitalparameter stört, ist bekannt. Wissenschaftler um Fleur Lejeune von der Universität Genf haben nun untersucht, welche Auswirkungen der Lärm insbesondere auf die sensorischen Fähigkeiten der Frühgeborenen haben kann.
Test in lauter Umgebung
Die Forscher wollten wissen: Wie wirkt sich der Lärm auf den frühen Tastsinn der Neugeborenen aus? Dazu teilten sie 63 Babys nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein. Eine Gruppe wurde einer Umgebung mit Lärm ausgesetzt, die andere kam in eine stille Umgebung.
Lejeune und ihre Kollegen untersuchten nun, wie die Babys auf kleine Objekte reagierten, die ihnen in die Hände gelegt wurden: „Wir wissen, dass ein Frühgeborenes nach 28 Schwangerschaftswochen bereits dazu in der Lage ist, sich die Form kleiner Objekte, etwa eines Prismas oder Zylinders, einzuprägen und zu unterscheiden“, erklärt Lejeune. Das zeigt sich daran, dass das Baby Unbekanntes länger in den Händen hält, schon bekannte Objekte dagegen schnell fallen lässt.
Formen begreifen
In beiden Gruppen gaben die Forscher den Säuglingen zunächst ein Prisma in die Hände. Ließen diese das Objekt fallen, wurde es ihnen erneut in die Hand gelegt. In einer zweiten Phase bekam die Hälfte der Babys einer Gruppe erneut das Prisma, die andere einen Zylinder.
Es zeigte sich: In der Gruppe in der stillen Umgebung ließen die Kinder wie erwartet das Prisma immer schneller fallen, je öfter sich der Ablauf wiederholte. Das sei Ausdruck ihres steigenden Desinteresses an einem nun bekannten Objekt, so die Forscher. Kam der Zylinder dazu, hielten die Kinder ihn zunächst länger fest, als das bereits bekannte Prisma, gewöhnten sich aber dann auch an dieses Objekt schnell.
Lärm erschwert sensorisches Lernen
Bei den Frühchen, die alltäglichem Lärm ausgesetzt waren, funktionierte dieser Lernprozess allerdings nicht so gut. Schon in der ersten Testphase brauchten sie deutlich länger, um sich mit der Prismaform vertraut zu machen: Auch nach mehreren Wiederholungen verkürzte sich die Haltezeit des Objekts bei ihnen nicht. „Es erschien so, dass der Prozess des Formeinprägens den Frühgeborenen in einer lauten Umgebung schwerer fiel“, schreiben die Forscher.
Auch in der anschließenden Testphase hielten die Neugeborenen sowohl das neue Objekt, den Zylinder, als auch das bereits bekannte Prisma noch länger in der Hand. Es gab dabei keinen Unterschied zwischen den beiden Formen. Das deute darauf hin, dass die Fähigkeit, sich mit einer Form vertraut zu machen, in der Gegenwart von Lärm deutlich schwieriger sei, so Lejeune. „Wir haben herausgefunden, dass der Lärm einen reellen Einfluss auf die sensorische Lernfähigkeit der Babys hat.“
Folgen für gesamte neurologische Entwicklung?
Die Studie zeigt den Forschern zufolge, dass es eine frühe funktionelle Kommunikation zwischen Tast- und Hörsinn von Frühgeborenen gibt. Der Lärm aktiviert zwar einerseits den Hörsinn, stört jedoch den Tastsinn. Es sei deshalb wichtig, den Lärm auf den Frühchenstationen so gut es geht zu reduzieren, betonen Lejeune und ihre Kollegen.
Gerade die Zeit nach der Geburt sei kritisch für die Entwicklung des neuronalen Kreislaufes und die Sinneserfahrungen spielten eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Gehirns. „Wenn der Lärm bereits den Tastsinn von Frühgeborenen stört, sollte man sich fragen, welchen Langzeiteffekt solch eine auditive Stimulation auf die gesamte neurologische Entwicklung hat“, betont Lejeune. (Scientific Reports, 2016; doi: 10.1038/srep23329)
(Universität Genf, 23.03.2016 – DAL)