Rätselhafte Schwerkraft-Tröge, ein flüssiger Außenkern und vier Billionen Tonnen Trockeneis: Die bisher hochauflösendste Gravitationskarte des Mars liefert spannende Einblicke in das verborgene Leben unseres Nachbarplaneten. Denn die neu kartierten Schwerkraftanomalien geben unter anderem Aufschluss über den Einfluss der Jahreszeiten und könnten mysteriöse Landschaftsformen am Übergang vom Hochland zur Tiefebene Acidalia Planitia erklären.
Betrachtet man das Schwerefeld der Erde, gleicht unser Planet einer verbeulten Kartoffel. Denn große Massen wie Gebirge beeinflussen die Stärke der Erdanziehungskraft. Ähnlich ist es beim Mars: Statt der gewohnten topografischen Landmarken ist sein Anblick in Karten seiner Gravitation subtil verändert. „Gravitationskarten erlauben es uns, in einen Planeten hineinzusehen, wie ein Arzt, der Röntgenstrahlen nutzt, um in einen Patienten zu blicken“, erklärt Antonio Genova vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).
Subtile Fluktuationen
Die bisher hochauflösendste Gravitationskarte des Mars haben Genova und seine NASA-Kollegen nun vorgestellt. Sie entstand nicht durch Messdaten eines Spezialsatelliten, sondern durch raffinierte Auswertung von 16 Jahren der ganz normalen Kommunikation von Marssonden mit dem Deep Space Network der Erde.
Der Clou dabei: Die Mars-Schwerkraft verändert die Position und Flughöhe der Sonden ganz leicht, je nachdem, ob sie beispielsweise gerade über die mächtigen Tharsis-Vulkane fliegen oder über eine Ebene. Diese Schwankungen führen zu winzigen Fluktuationen im Datensignal, das die Forscher mit Hilfe eines komplexen Algorithmus herausgefiltert und ausgewertet haben.
Blick bis in den Mars-Kern
„Mit dieser neuen Karte können wir noch Gravitations-Anomalien von nur 100 Kilometern Durchmesser sehen“, sagt Genova. „Wir haben zudem die lokale Dicke der Marskruste mit einer räumlichen Auflösung von 120 Kilometern bestimmt -das hilft dabei zu ermitteln, wie sich die Marskruste in verschiedenen Regionen des Planeten im Laufe der Geschichte verändert hat.“
Die neuen Daten verraten sogar, wie sich die Marskruste durch die Schwerkrafteinflüsse der Sonne und der beiden Marsmonde verformt. Anhand dieser Gezeiten-Effekte auf Kruste und Mantel konnten die Planetenforscher bestätigen, dass der Mars tatsächlich einen äußeren Kern aus geschmolzenem Gestein besitzt.
Vier Billionen Tonnen Trockeneis
Ähnlich wie die Erde hat auch der Mars Jahreszeiten. Sie lassen den Methangehalt der Marsatmosphäre schwanken, sorgen aber auch dafür, dass beispielsweise im Nord-Sommer große Mengen an Kohlendioxid-Eis aus der Nordpolarregion verdampfen. Im Winter lagert sich dagegen neues Eis ab.
Die neue Schwerkraftkarte erlaubt es nun erstmals, die Menge des Kohlendioxids zu bestimmen, das jedes Jahr an diesem Kreislauf aus Gefrieren und Ausgasen teilnimmt: Zwischen drei und vier Billionen Tonnen CO2 frieren jeden Winter aus der Atmosphäre aus und lagern sich auf den jeweiligen Polkappen ab – das entspricht immerhin zwischen 12 und 16 Prozent der gesamten Atmosphärenmasse.
Anomalie an der Hochland-Grenze
„Die verbesserte Auflösung unserer Gravitationskarte wird uns zudem helfen, die noch immer rätselhafte Entstehung einiger Regionen auf dem Planeten zu verstehen“, sagt Genova. Eines dieser Gebiete liegt am Übergang zwischen dem Hochland von Tempe Terra und der Tiefebene Acidalia Planitia. Hier registrierten Messungen schon früher einen Bereich ungewöhnlich geringer Schwerkraft.
Diese Anomalie wurde als System überdeckter Ablaufkanäle und Schluchten interpretiert, über die einst Wasser aus dem Hochland in die Ebene floss. Doch die neue Kartierung enthüllt, dass die Anomalie deutlich ausgedehnter ist als bisher angenommen – und dass sie Tröge umfasst, die quer zur Abbruchkante des Hochlands stehen. Das spricht nach Ansicht der Forscher gegen Ablaufrinnen als Ursache.
Genova und seine Kollegen halten eine andere Erklärung für wahrscheinlicher: Als die gewaltigen Vulkane des Tharsis-Komplexes entstanden, brachten sie nicht nur die gesamte Kruste des Planeten Rutschen und verschoben die Pole – sie erzeugten auch Verwerfungen und Risse in der Kruste, die die Schwerkraftanomalien an der Hochland-Grenze erklären könnten.
(NASA/ Goddard Space Flight Center, 23.03.2016 – NPO)