Seltsame Mischung: Forscher haben erstmals das Erbgut der rätselhaften Sima-Frühmenschen entschlüsselt. Diese vor rund 430.000 Jahren in Spanien lebenden Homininen sind demnach wohl doch frühe Neandertaler, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ berichten. Dies zwar zuvor angezweifelt worden, weil die Mitochondrien-DNA dieser Frühmenschen eine verblüffende Übereinstimmung mit den Denisova-Menschen Sibiriens aufweist.
28 Frühmenschen-Skelette aus der Höhle Sima de los Huesos im Norden Spaniens geben schon länger Rätsel auf. Denn die rund 430.000 Jahren alten Fossilien ähneln in einigen Merkmalen den Neandertalern, in anderen Eigenschaften scheinen sie dagegen primitiver. Angesichts ihres Alters und des Fundorts lag es daher nahe, die Sima-Menschen als frühe Neandertaler oder deren Vorgänger einzustufen.
Rätsel um Denisova-„Connection“
2013 jedoch kam die Überraschung. Die Analyse der mitchondrialen DNA eines Knochens aus der Sima-Höhle ergab, dass dieses nur über die mütterliche Linie weitergegebene Erbgut nicht von einem Neandertaler stammte. Stattdessen zeigte es Übereinstimmungen mit den Denisova-Menschen, einem rätselhaften Menschentyp, von dem bisher nur ein Fingerknochen im sibirischen Altaigebirge gefunden wurde.
Aber wie war diese seltsame „Fernverbindung“ von Sibirien zu Frühmenschen in Spanien zu erklären? Um darüber mehr Aufschluss zu bekommen, haben Matthias Meyer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen nun erstmals auch die DNA aus dem Zellkern der Sima-Menschen analysiert. Die Sequenzen verglichen sie anschließend mit der DNA der Denisova-Menschen, der Neandertaler und eines frühen Homo sapiens.
Es waren doch Neandertaler
Das Ergebnis: Das Erbgut der Sima-Menschen stimmt mit deutlich weniger als zehn Prozent der Genbuchstaben mit den Denisova-Menschen überein. Zwischen 31 und 53 Prozent dagegen passen zu Gensequenzen des Neandertalers, wie die Forscher berichten. „Das deutet darauf hin, dass die Sima-Homininen eher mit den Vorfahren der Neandertaler verwandt sind als mit den Denisova-Menschen“, sagen Meyer und seine Kollegen.
Nach Ansicht der Anthropologen waren die Sima-Menschen daher wahrscheinlich schon frühe Neandertaler oder aber sehr eng mit den Vorfahren dieser Eiszeitmenschen verwandt. Die Hypothesen, dass die Sima-Menschen versprengte Vorfahren der Denisova-Menschen waren oder das Ergebnis einer Kreuzung mit einer noch völlig unbekannten Menschengruppe, sind damit sehr unwahrscheinlich, wie die Forscher erklären.
Woher kommt die mitochondriale DNA?
Rätselhaft bleibt jedoch, warum die Sima-Menschen in ihren Mitochondrien das Erbgut der Denisova-Menschen trugen – und nicht den später lebenden Neandertalern glichen. Denn Neandertaler und Denisova-Menschen waren zu dieser Zeit, vor rund 430.000 Jahren, längst zwei getrennte Linien.
Meyer und seinen Kollegen vermuten, dass die Lösung dieses Rätsels nicht bei den Denisova-Menschen liegt, sondern bei den Neandertalern selbst. Denn die Referenz für die typische mitochondriale Neandertaler-DNA stammt von fossilen Skeletten, die hunderttausende von Jahren jünger sind als die Sima-Menschen.
„Vielleicht erhielten die späteiszeitlichen Neandertaler ihre mt-DNA erst später, beispielsweise durch einen nachträglichen Geneintrag aus Afrika“, mutmaßen die Forscher. Sollte sich dies bestätigen, dann wäre die rätselhafte mt-DNA der Sima-Menschen für damalige frühe Neandertaler ganz normal gewesen – und ein Relikt der gemeinsamen Vorfahren von Denisova-Menschen und Neandertalern. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature17405)
(Nature, 15.03.2016 – NPO)