Und es gab ihn doch: Vor gut 50 Millionen Jahren wanderten fast zwei Meter große Riesenvögel in der Arktis umher. Das belegt die Untersuchung eines fossilen Knochens, der auf Ellesmere Island in Kanada gefunden wurde. Er stammt demnach vom Urvogel Gastornis – einer bisher nur weiter im Süden gefundenen Art. Ob und wie dieser pflanzenfressende Riesenvogel das Dauerdunkel des arktischen Winters überstand, ist bisher noch unklar.
Heute ist die Arktis eher lebensfeindlich und kalt, aber das war nicht immer so, wie Fossilfunde belegen. So entdeckten Paläontologen erst vor kurzem eine regelrechte verlorene Welt mit tausenden von Dinosaurier-Fossilien in Alaska, kurz zuvor wurden ähnlich viele Dinosauerspuren im dortigen Denali-Nationalpark gefunden.
Rätselhafter Zehenknochen
Aber auch nach der Ära der Dinosaurier gedieh im hohen Norden offenbar eine reiche Lebenswelt, wie Funde auf Ellesmere Island belegen. Dort hatten Paläontologen schon vor einigen Jahren den ungewöhnlich großen, rund 50 Millionen Jahre alten Zehenknochen eines vogelähnlichen Tieres entdeckt. Man vermutete, dass es sich um das Fossil eines ausgestorbenen Riesenvogels handeln könnte.
Thomas Stidham von der chinesischen Akademie der Wissenschaften und Jaelyn Eberle von der University of Colorado in Boulder haben nun diesen Zehenknochen erstmals genauer untersucht und beschreiben neben ihm auch Knochen eines weiteren auf Ellesmere Island entdeckten Vogels aus etwa der gleichen Zeit.
Urzeit-Vogel mit Riesenschädel
Und tatsächlich: Die Untersuchung bestätigte, dass der fossile Zehenknochen dem Riesenvogel Gastornis gehörte. „Damit ist dies der nördlichste Fund dieses Vogels auf den amerikanischen Kontinent“, so die Forscher. Bisher waren Fossilien von Gastornis vor alle aus Wyoming bekannt, aber auch in der Grube Messel in Deutschland wurden schon vereinzelte Knochen dieser Vogelart entdeckt.
Typisch für diesen knapp zwei Meter großen Vogel ist der große, kräftige Schädel, der ihm den Ruf als gefährliches Raubtier einbrachte. Neuere Analysen deuten allerdings darauf hin, dass Gastornis mit seinem mächtigen Schnabel nur Nüsse und harte Früchte knackte und ein reiner Pflanzenfresser war. Mit seinen kräftigen Beinen konnte er vermutlich ähnlich schnell laufen wie der heutigen Strauß.
Der zweite Fossilfund stammt dagegen von einem etwas zierlicheren Vogel, der mit heutigen Enten, Schwänen und Gänsen verwandt war, wie die Forscher berichten. Presbyornis besaß lange, dünne Beine ähnlich einem Flamingo und einen entenartigen Schnabel. Aus Funden in den USA ist bekannt, dass diese Vögel in Kolonien lebten und brüteten.
Überwintern im Dauerdunkel
Zur Lebenszeit dieser Urzeit-Vögel war es in der Arktis lange nicht so kalt wie heute. Stattdessen ähnelten Klima und Landschaft eher denen der Feuchtgebiete und Sümpfe im heutigen Südosten der USA, wie Stidham und seine Kollegen berichten. Rein klimatisch bot Ellesmere Island daher durchaus lebensfreundliche Bedingungen. Ein Problem aber hatten auch die damaligen Bewohner der hohen Arktis bereits: den Polarwinter.
„Da Ellesmere Island weit oberhalb des Polarkreises liegt, blieb es dort mehrere Monate lang dunkel – genauso wie heute“, so Stidham. Ob Gastornis und Presbyornis dieses Dauerdunkel stoisch aushielten oder ob sie während des Winters nach Süden zogen, ist bisher unklar. „Beides wäre möglich“, sagt Stidham. „Es gibt heute einige Entenvögel, die den Winter in der frostigen Arktis verbringen, viele andere Wasservögel halten sich nur im Sommer im hohen Norden auf.“ (Scientific Reports, 2016; doi: 10.1038/srep20912)
(University of Colorado at Boulder, 16.02.2016 – NPO)