Religion als Sozialkitt? Der Glaube an eine allwissende, strafende Gottheit könnte unseren Vorfahren die Bildung erster Zivilisationen erleichtert haben. Denn diese religiöse Überzeugung fördert die Kooperation mit Unbekannten gleichen Glaubens, wie ein Experiment mit Menschen aus acht verschiedenen Kulturen belegt. Der Glaube könnte damit den Übergang von Familienclans zu großen, komplexen Gesellschaften gefördert haben, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Glaube und Religion sind nicht nur Privatsache, sie beeinflussen auch, wie wir mit anderen umgehen und prägen damit unsere Gesellschaften. Gleichzeitig beeinflusst die Umwelt, welches Gottesbild in einer Kultur dominiert. Ob umgekehrt der Glaube vielleicht auch eine Triebkraft bei der Entstehung der ersten Zivilisationen war, darüber spekulieren Forscher schon seit längerem.
Vom Familienclan zur anonymen Masse
Denn unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren lebten ursprünglich in kleinen, überschaubaren Familienclans zusammen – jeder kannte jeden. Das aber änderte sich mit der Bildung größerer, komplexerer Gesellschaften. Jetzt gehörten auch weit entfernt lebende Fremde plötzlich dazu und forderten Hilfe, Vertrauen und Kooperation ein – eine ganz neue Situation.
In dieser Situation, so die Hypothese, könnte die Religion eine Schlüsselrolle gespielt haben – indem sie Fremde zu Glaubensgenossen und damit zu vertrauenswürdigen Clan-Mitgliedern machte. „Der Glaube an moralische, strafende und allwissende Götter könnte die Ausdehnung der Kooperation, des Vertrauens und der Fairness auch auf entfernte Glaubensgenossen gefördert haben“, erklären Benjamin Grant Purzycki von der University of British Columbia und seine Kollegen.
Münzen für den Fremden
Ob diese Hypothese stimmt, haben die Forscher mit einem Spielexperiment mit 591 Menschen aus acht ganz verschiedenen Kulturen untersucht. Die Teilnehmer reichten von Jägern und Sammlern in Tansania über Viehzüchter und Bauern in der Südsee und Brasilien bis zu Angehörigen von Kulturen mit Lohnarbeit in Sibirien oder auf Mauritius. Unter den Religionen waren Christentum, Hinduismus und Buddhismus ebenso vertreten wie der Glaube an Natur- oder Ahnengeister.
Alle Probanden bekamen die gleiche Aufgabe: Sie sollten eine bestimmte Geldsumme zwischen einem Topf für einen entfernten, ihnen unbekannten Religionsgenossen und einem Topf für sich selbst oder ein lokales Mitglied ihrer Religion aufteilen. Alle Teilnehmer wurden zudem eingehend über ihre Glaubensvorstellungen befragt.
Strenger Gott – kooperative Gläubige
Und tatsächlich: Die Art der Religion beeinflusste, wie kooperativ und sozial die Teilnehmer handelten. „Je stärker die Teilnehmer ihre Götter als strafend und als allwissend beschrieben, desto mehr Münzen teilten sie dem geografisch entfernten, ihnen fremden Religionsgenossen zu“, berichten Purzycki und seine Kollegen.
Allein der Glaube, dass der moralische Gott straft, wenn man seinen Geboten nicht gehorcht, führte dazu, dass der entfernte Glaubensgenosse knapp fünfmal mehr Münzen erhielt als bei Teilnehmern, die nicht an einen strafenden Gott glaubten. Die Aussicht auf eine göttliche Belohnung schien dagegen wenig Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft zu haben, denn sie bewegte die Teilnehmer nicht dazu, dem fremden Mitgläubigen mehr zu geben, wie die Forscher berichten.
„…wohl der machtvollste Mechanismus“
Nach Ansicht der Wissenschaftler bestätigt dies die Hypothese, dass die Religion eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der frühen Gesellschaften gespielt haben könnte. Denn der Glaube an einen moralischen, strafenden Gott förderte den Zusammenhalt selbst großer, eher anonymer Gruppen. „Er verstärkt das faire Verhalten gegenüber entfernten, fremden Mitgläubigen und trägt damit zu einer Expansion des prosozialen Verhaltens bei“, so Purzycki und seine Kollegen.
Dominic Johnson von der University Oxford sieht dies in einem begleitenden Kommentar ähnlich: „Religion ist wohl der machtvollste Mechanismus, den Gesellschaften gefunden haben, um Menschen zu einem gemeinsamen Zweck zu verbinden“, so der Politikwissenschaftler. „Es gibt kaum Zweifel an der Macht der Religion, wenn es darum geht, Loyalität zu einem Gott und zur eigenen Gruppe zu fördern.“ (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature16980)
(Nature, 11.02.2016 – NPO)