Über der Arktis könnte in diesem Frühjahr ein starkes Ozonloch aufreißen. Schon jetzt ist dort ein Viertel des Ozons in der oberen Atmosphäre zerstört, wie Atmosphärenforscher berichten. Als Folge könnten die Ozonwerte im März und April ein neues Rekordtief erreichen – mit Folgen auch für Mitteleuropa. Schuld an dem starken Ozonschwund ist eine ungewöhnliche Kältephase in der Stratosphäre, die den Ozonabbau begünstigt.
Lange Zeit galt das Ozonloch als typisches Frühjahrs-Phänomen der Antarktis. Dort bilden sich im Winter bei sehr niedrigen Temperaturen polare Stratosphärenwolken. In ihnen reagiert Chlor unter Einfluss des Sonnenlichts mit dem Ozon der Ozonschicht und zersetzt es in einer Kettenreaktion zu normalem Sauerstoff. Die Folge ist eine starke Ausdünnung der Ozonschicht – ein Ozonloch.
Doch im Frühjahr 2011 trat ein solches Ozonloch erstmals auch über dem Nordpol auf und erreichte Rekordwerte. Über der Arktis fiel die Dichte der Ozonschicht zeitweise um mehr als 80 Prozent. Als Folge stieg die UV-Belastung selbst in Mitteleuropa messbar.
Acht Grad kälter als normal
Jetzt zeigen erste Prognosen, dass auch im Frühjahr 2016 wieder ein solches Ozonloch auftreten könnte. Denn wie Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes in Bremerhaven berichten, hat es in den vergangenen Wochen erneut eine extreme Kälteperiode in der arktischen Stratosphäre gegeben – und damit genau die Bedingungen, die einen starken Ozonabbau vorantreiben können.
„In rund 20 Kilometern Höhe über der Arktis ist die Luft seit Wochen bis zu minus 90 Grad Celsius kalt“, berichtet AWI-Atmosphärenforscherin Marion Maturilli. Ballonmessungen der Arktis-Forschungsstation auf Spitzbergen registrierten Stratosphären-Temperaturen von acht Grad unter dem langjährigen Mittel. Zudem strömt nur wenig Ozon aus anderen Regionen nach, sodass sich bereits ein Ozonminimum über der Arktis ausgebildet hat.
Ozonabbau schon jetzt stärker als 2011
Kommt es in den nächsten Wochen nicht zu einer entscheidenden Erwärmung, könnte ein echtes Ozonloch über der Arktis entstehen. Die Modellrechnungen der Forscher zeigen, dass die chemischen Bedingungen in der arktischen Stratosphäre bereits jetzt das Ozonzerstörungspotenzial aus dem Winter 2010/2011 übertreffen. „Bis Mitte Februar wird dort bereits mehr als ein Viertel des Ozons zerstört worden sein“, sagt Markus Rex, Koordinator des Europäischen Forschungsprojekts StratoClim.
Sollte die Kälte bis tief in den Monat März hinein Bestand haben, muss nach Angaben der Forscher mit weiterer Vertiefung des Ozonminimums gerechnet werden. „Der Ozonabbau wird dann noch an Fahrt gewinnen, wenn intensiveres Sonnenlicht nach Ende der Polarnacht auf den Tiefdruckwirbel trifft“, erklärt Rex.
Rekord-Ozonloch möglich
Setzt sich der derzeitige Trend fort, dann könnte der Ozonabbau über der Arktis im März und April sogar neue Rekordwerte erreichen – und das Ozonloch damit noch schlimmer ausfallen als im Frühjahr 2011. Sollte dies der Fall sein, dann müsse damit gerechnet werden, dass die Zone der ausgedünnten Ozonschicht auch Mitteleuropa erreicht.
Ob der Wirbel jedoch möglicherweise doch noch rechtzeitig aufbricht, um dies zu verhindern, können die Wissenschaftler derzeit nicht vorhersagen. Um den Ozonverlust genau verfolgen zu können, lässt das StratoClim Konsortium zusammen mit weiteren internationalen Partnern seit Wochen in einem Netzwerk von 30 Beobachtungsstationen hunderte Ozonsonden in die Stratosphäre aufsteigen. Anfang April sind außerdem Messflüge mit einem Höhenforschungsflugzeug in die arktische Stratosphäre geplant.
Klimawandel ist schuld
Schuld an der ungewöhnlichen Kälte in der oberen Atmosphäre ist – auch wenn es paradox klingt – der Klimawandel. Denn er sorgt zwar in Bodennähe für eine deutliche Erwärmung, fördert aber gleichzeitig die Bildung kalter Polarwirbel in großer Höhe. Schon vor ein paar Jahren prognostizierten Klimaforscher daher, dass Ozonlöcher über der Arktis künftig häufiger auftreten könnten.
Dieser Trend könnte durch den fehlenden Nachschub des ozonabbauenden Chlors in die Stratosphäre zumindest gegen Ende des Jahrhunderts wieder ausgleichen. Denn die ozonzerstörenden FCKWs sind durch das Montreal-Protokoll inzwischen weltweit verboten. „Leider ist der natürliche Reinigungsprozess in den Luftschichten aber sehr langsam“, erläutert Rex. „Während der nächsten ein bis zwei Jahrzehnte bleibt die arktische Stratosphäre daher nach ungewöhnlichen Kälteperioden sehr anfällig für schwere Ozonverluste.“
(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 11.02.2016 – NPO)