Ökologie

Überfischung stärker als gedacht

Fangzahlen in offiziellen Statistiken wurden um mehr als die Hälfte unterschätzt

Üppiger Fang: Auch der Thunfisch ist von Überfischung bedroht © iStock.com / moodboard

Hohe Dunkelziffer: Die Menge der in den vergangenen 60 Jahren gefangenen Fische ist viel höher als offizielle Daten vermuten lassen. Einer neuen Analyse zufolge weichen die tatsächlichen Zahlen um mehr als die Hälfte ab – und zwar nach oben. Selbst die aktuellen Fangzahlen liegen um ein Drittel zu niedrig. Schuld seien lückenhafte Erhebungen etwa durch illegale Fischerei, schreiben die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“. Die Folge: Ein verzerrtes Bild über den Zustand unserer Meere.

Ob Lachs, Barsch oder Thunfisch – Fisch ist ein beliebtes Lebensmittel. So beliebt, dass Experten immer wieder vor Überfischung warnen. Mehr als ein Viertel aller Speisefische gilt weltweit bereits als überfischt, in Europa ist es sogar knapp die Hälfte. Der Raubbau an der Ressource Fisch gefährdet dabei nicht nur die Nahrungsmittelversorgung einer global wachsenden Bevölkerung, sondern vor allem das sensible ökologische Gleichgewicht der Ökosysteme.

Unvollständiges Bild

Um den Zustand unserer Meere überwachen zu können, trägt die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) deshalb regelmäßig Fangzahlen zusammen. Doch wie viel Fisch tatsächlich jedes Jahr gefangen wird, davon zeichnen diese offiziellen Zahlen offensichtlich nur ein äußerst unvollständiges Bild. Wie die Wissenschaftler Daniel Pauly und Dirk Zeller von der University of British Columbia in Vancouver berichten, geht das tatsächliche Ausmaß der Überfischung nämlich weit über die Zahlen der FAO hinaus.

Die Forscher haben die Fangzahlen der vergangenen 60 Jahre noch einmal neu rekonstruiert. Dafür sammelten sie für über 200 Länder und Fischereigebiete zahlreiche Daten aus einer Vielzahl an Quellen. Dabei verließen sie sich nicht nur auf offizielle Statistiken, sondern durchsuchten Fachliteratur, befragten Fischereiexperten und ließen zum Beispiel auch Berichte über von Touristen gefangene Fische mit einfließen. Zudem betrachteten die Wissenschaftler Faktoren wie Bevölkerungszahlen.

Die neue Hochrechnung zeigt: Das Ausmaß des Fischfangs wurde bislang unterschätzt © The Pew Charitable Trust / The Sea Around Us

Drastisch unterschätzt

Das Ergebnis ihrer Analyse zeigt: In der Vergangenheit haben viele Länder deutlich mehr Fisch aus den Meeren entnommen, als sie offiziell angaben. Demnach sind die weltweiten Fangzahlen zwischen 1950 und 2010 insgesamt um mehr als die Hälfte unterschätzt worden. Laut FAO hat die Fischerei seit 1950 kontinuierlich zugenommen und 1996 einen Spitzenwert von 86 Millionen gefangenen Tonnen Fisch erreicht. Pauly und Zeller datieren das Fang-Hoch zwar auf dasselbe Jahr – kommen aber auf stolze 130 Millionen Tonnen.

Seitdem sei die Fischerei zwar stärker zurückgegangen als angenommen, sagen die Forscher. Während die FAO für das Jahr 2010 einen Wert von 77 Millionen Tonnen angibt, liegt der Wert in der neuen Rekonstruktion jedoch immer noch um etwa 30 Prozent höher: bei 109 Millionen Tonnen Fisch.

Fischerei unter dem Radar

Traut man diesen Berechnungen, dann werden jedes Jahr etwa 32 Millionen Tonnen Fisch gefangenen, von denen offiziell niemand weiß. Wie kann das sein? Die Forscher haben einen Verdacht: „Viele Länder konzentrieren sich bei der Datenerhebung auf die industrielle Fischerei und lassen andere, schwer nachzuhaltende Kategorien außen vor“, schreiben sie. Insbesondere illegale Fänge und solche von kleinen Privatfischern fielen so durch das Raster. Auch gefangener, aber dann weggeworfener Fisch schaffe es oft nicht in die offizielle Statistik.

Ein unakzeptabler Zustand: „Es ist, als würden wir immer wieder Geld von einem Konto ziehen, ohne zu wissen, wie viel schon entnommen wurde und wie viel uns noch zur Verfügung steht“, sagt Pauly. Die neue Berechnung liefere zwar ein umfassenderes Bild, sei aber auch nicht gänzlich vor Ungenauigkeiten gefeit. Gerade für den langfristigen Erhalt der Ressource Fisch ist eine genaue Kenntnis über Fangzahlen und Bestände jedoch unabdingbar, wie die Forscher betonen.

Beim Einkauf zum Meeresschutz beitragen

Auch Umweltorganisationen werben für einen bewussteren Umgang mit dem Thema. „Jeder kann zum Schutz der Meere beitragen“, sagt die Greenpeace-Meeresexpertin Sandra Schöttner. Das heißt, insgesamt seltener Fisch und Meeresfrüchte zu essen und bei der Auswahl auf die Herkunft und den Gefährdungsgrad der Art zu achten.

Hilfe dabei kann zum Beispiel das MSC-Siegel für nachhaltigen Fischfang leisten, aber auch der kürzlich aktualisierte Fischratgeber von Greenpeace. (Nature Communications, 2016, doi: 10.1038/ncomms10244)

(Nature Communications, University of British Columbia, 20.01.2016 – DAL)

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