Kein Schweinefraß? Lebensmittelabfälle sollen in der EU wieder als Schweinfutter erlaubt sein, fordern Wissenschaftler. Denn dadurch könnten zwei Millionen Hektar bisher für Schweinefutter benötigtes Ackerland wieder für menschliche Nahrung genutzt werden. Das mindert den ökologischen Fußabdruck des Schweinefleischs und hilft, die Welternährung zu sichern. Außerdem ließen sich so Millionen Tonnen Lebensmittel verwerten, die andernfalls im Müll landen.
Lebensmittelreste an Schweine zu verfüttern war früher gang und gäbe, und es ist naheliegend: Schweine fressen fast alles und anstatt ungenutztes Essen wegzuwerfen, dient es so wenigstens noch in der Viehhaltung. In der EU ist diese Praxis jedoch seit 2003 nicht mehr erlaubt. Grund für dieses Verbot war ein Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Großbritannien, der auf unbehandelte Küchenabfälle im Schweinefutter zurückging. Um die Viehseuche einzudämmen, mussten damals über zehn Millionen Nutztiere notgeschlachtet werden.
Kontrollierte Wiederverwertung von Lebensmittelabfällen
Als Schweinefutter dienen darum heute vor allem Getreide und Sojabohnen. Ein großer Teil davon wird in Südamerika angebaut, auf rund 1,2 Millionen Hektar Land wächst dort Futter für europäische Schweine. Vor allem der Regenwald fällt unserem Fleischhunger zum Opfer.
Diese landwirtschaftliche Anbaufläche, und weitere Flächen auf der ganzen Welt, könnte man sinnvoller und umweltschonender nutzen, wenn Viehzüchter ihre Schweine wieder mit Lebensmittelresten und Küchenabfällen füttern könnten, argumentieren Wissenschaftler um Erasmus zu Ermgassen von der University of Cambridge.
Die Maul- und Klauenseuche ließe sich dabei dennoch in Schach halten, wie die Forscher am Beispiel von Japan verdeutlichen: Auch dort hatte ein Ausbruch der Seuche im Jahr 2010 Lebensmittelreste als Viehfutter in Frage gestellt. Die Reaktion darauf war jedoch eine andere als in der EU: „In vielen Ländern in Ostasien gibt es ein funktionierendes Modell für die Verwendung von Nahrungsabfällen als Schweinefutter“, erklärt zu Ermgassen. Mögliche Krankheitserreger in den Abfällen werden durch Hitze abgetötet. „Es ist ein stark reguliertes und genau überwachtes System, das Essensreste aufbereitet und günstiges Schweinefutter mit geringen Folgen für die Umwelt produziert.“
„Öko-Schwein“ lebt von Essensresten
In Japan werden so 35 Prozent der Lebensmittelabfälle wiederverwertet. Das damit produzierte Schweinefleisch wird erfolgreich als „Öko-Schwein“ vermarktet. Das Verbot in der EU sei eine reflexhafte Schutzreaktion gewesen, die heute keinen Sinn mehr ergebe, meinen die Forscher: Die jährlich über 100 Millionen weggeworfenes Essen in der EU ließen sich sinnvoll einsetzen. Gleichzeitig ließen sich geschätzte 1,8 Millionen Hektar wertvolle Ackerfläche zurückgewinnen, um dort Nahrung für Menschen anzubauen.
Die Landnutzung zur Fleischproduktion ist ohnehin ein umstrittenes Thema: Während weltweit die landwirtschaftlichen Flächen knapp werden, fallen rund drei Viertel davon auf die Viehhaltung und Futterproduktion. Die Nachfrage an Fleisch- und Milchprodukten wird außerdem bis 2050 um geschätzte 60 Prozent steigen. Diesen Flächenbedarf zu senken, entweder durch geringeren Fleischkonsum oder zumindest eine ökologische Produktion von Viehfutter, wäre auch ein wichtiger Beitrag für die Ernährung der Weltbevölkerung.
Günstiges und artgerechtes Schweinefutter
Schweine mit Lebensmittelabfällen zu füttern sei außerdem artgerechter als die einseitige Ernährung mit Getreide und Soja, sagt zu Ermgassen: „Schweine sind Allesfresser, freilebend würden sie sich von allem ernähren, was sie finden können, von Pflanzen bis zu Tierkadavern“, so der Forscher, „und sie wurden mit Essensresten gefüttert, seit der Mensch sie vor 10.000 Jahren domestiziert hat.“
Darüber hinaus sei das bestehende EU-Verbot ohnehin lückenhaft, so die Wissenschaftler: Eine Umfrage ergab, dass rund ein Viertel der Schweinzüchter in kleineren Betrieben dennoch unerlaubterweise rohe Lebensmittelreste verfüttern. Ein Grund dafür sind steigende Futterpreise, die den Viehzüchtern zu schaffen machen. Essensreste sind eine billigere Alternative.
Damit dies auch legal möglich ist, sollte die EU das Verbot von 2003 überdenken: „Die Wiedereinführung von Abfällen als Futter erfordert Unterstützung von Schweineproduzenten, der Bevölkerung und den Politikern“, meint zu Ermgassen, „aber es gibt ein großes Potenzial, die Schweinefleisch-Produktion in der EU ökologisch wie wirtschaftlich nachhaltiger zu machen.“ (Food Policy, 2015; doi: 10.1016/j.foodpol.2015.11.001)
(University of Cambridge, 10.12.2015 – AKR)