Schutzwall gegen die Flut: Das Great Barrier Reef ist mehr als nur in einzigartiges Ökosystem – es schützt Australiens Küste auch vor Tsunamis. Denn wie Forscher jetzt entdeckten, ereigneten sich am Schelfrand des Kontinents immer wieder Untersee-Rutschungen, die Flutwellen auslösen können. Heute bildet das Riff eine Schutzbarriere, doch vor rund 15.000 Jahren könnte ein solcher Tsunami die Aborigines entlang der Küste getroffen haben, so die Forscher im Fachmagazin „Marine Geology“.
Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens ist das größte Korallenriffgebiet der Erde – es erstreckt sich über knapp 350.000 Quadratkilometer. Doch dieses UNESCO-Weltnaturerbe ist akut bedroht: Es hat in weniger als 30 Jahren schon die Hälfte seiner Korallen verloren, die Gründe dafür sind neben der Ozeanversauerung vor allem die Verschmutzung des Meeres durch Bautätigkeit und Kohletransporte entlang der australischen Küste.
Kollaps der Schelfkante
Sollte das Riff zugrunde gehen, könnte Australien jedoch mehr verlieren als nur ein einzigartiges Ökosystem, wie Jody Webster von der University of Sydney und ihre Kollegen herausfanden. Denn das Riff dient auch als wertvolle Schutzbarriere gegen Tsunamis, die durch Unterwasser-Erdrutsche am Kontinentalschelf Australiens ausgelöst werden. Hinweise auf solche Rutschungen und die Folgen haben die Forscher nun am Außenrand des Great Barrier Reef entdeckt.
„Wir haben sieben Erdrutsche entlang des Schelfrands und im oberen Teil des Kontinentalhangs entdeckt“, berichten die Wissenschaftler. „Die größte Rutschung am Schelf ließ in etwa 90 Metern Wassertiefe eine sieben Kilometer lange Sektion der Schelfkante kollabieren.“ Das grobe Geröll dieses „Viper Slide“ getauften Unterwasser-Erdrutsches stürzte bis in eine Tiefe von 250 Metern hinunter und verteilte sich bis in einer Entfernung von mehr als fünf Kilometer über den Schelfabhang.
Drei Meter hohe Flutwellen
„Die Entdeckung der Viper-Rutschung ist der erste eindeutige Beweis dafür, dass entlang des Great Barrier Reef Erdrutsche vorkamen“, sagt Koautor Robin Beaman von der James Cook University. Den Datierungen zufolge ereignete sich dieser Erdrutsch vor rund 14.000 bis 20.000 Jahren und damit zu einer Zeit, als das Korallenriff noch deutlich niedriger und unvollständiger war als heute.
Und der Erdrutsch hatte Folgen: Die plötzliche Verdrängung von Wasser durch das Geröll verursachte einen Tsunami, der immerhin mit zwei bis drei Metern Höhe auf die australische Küste traf, wie die Forscher berichten. Wie dieser Tsunami abgelaufen sein könnte, haben sie mit Hilfe von Modellsimulationen rekonstruiert. Dabei zeigte sich: Weil die Schutzbarriere des Riffs damals noch nicht ausgeprägt war, waren die bereits entlang der Küste und auf den vorgelagerten Inseln lebenden Aborigines der Flut wahrscheinlich schutzlos ausgesetzt.
Riff als Schutzbarriere
Ähnliches könnte heute noch passieren: „Es besteht die Möglichkeit, dass sich eine ähnliche Rutschung mit dem Potenzial eines drei oder mehr Meter hohen Tsunamis heute ereignen könnte“, sagt Webster. Doch es gibt eine gute Nachricht: „Wenn dies der Fall wäre, dann würde uns das Great Barrier Reef einen großen Dienst erweisen, denn es kann einen Teil dieser Wellenenergie abfangen.“ Das Risiko für die australische Westküste durch einen solchen Tsunami sei daher vernachlässigbar gering.
Australien ist aber nicht der einzige Kontinent, an dessen Küsten solche von Rutschungen ausgelöste Tsunamis vorkommen können. Auch in Europa können Erdbeben oder kollabierende Gashydrate solche Fluten verursachen, wie Forscher feststellten. Und auch die Kontinentalhänge vor Neuseeland sind potenziell von einem solchen Kollaps gefährdet.
Echte Megatsunamis könnten dagegen von Inselvulkanen verursacht werden, wie Geologen erst vor wenigen Wochen entdeckten. Denn explodiert bei einem Ausbruch eine Flanke des Feuerbergs, stürzen Tonnen von Lava und Gestein ins Meer. (Marine Geology, 2015; doi: 10.1016/j.margeo.2015.11.008)
(University of Sydney, 26.11.2015 – NPO)