Zoologie

Schimpansen-Waisen leiden ein Leben lang

Früher Verlust der Mutter führt zu dauerhaft gestörtem Sozialverhalten

Schimpansen, die innerhalb der ersten beiden Lebensjahre von ihren Müttern getrennt wurden, sind noch Jahrzehnte später in ihrem sozialen Fellpflegeverhalten eingeschränkt. © Jorg Massen

Verwaiste Schimpansen haben noch als Erwachsene ein gestörtes Sozialverhalten: Sie finden weniger Partner zur Fellpflege und sind sozial weniger aktiv, wie Wissenschaftler an Zootieren und ehemaligen Labor-Schimpansen beobachtet haben. Diese Defizite bleiben selbst dann bestehen, wenn die Menschenaffen später in Gruppen leben. Die soziale Isolation im Kindesalter hat bei diesen Primaten damit ähnlich gravierende Folgen wie bei uns Menschen, so die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“.

Schimpansen sind für ihr ausgeprägtes Sozialverhalten bekannt. Der Nachwuchs lebt für mehrere Jahre eng mit der Mutter zusammen. In dieser Zeit schützt die Mutter ihr Junges nicht nur vor Gefahren und aggressiven Artgenossen und bringt ihm die Futtersuche bei. Es ist auch eine wichtige Periode, in dem die Schimpansenmutter ihren Nachwuchs erzieht und je nach Geschlecht auf die komplexen Netzwerke innerhalb der sozialen Rangordnung ihrer Schimpansengruppe vorbereitet.

Waisen und ehemalige Labortiere

Doch tausende zuvor wild lebende Schimpansen-Jungtiere gelangten zwischen 1950 und 1980 von ihren Müttern getrennt aus Westafrika nach Europa, Japan und in die USA. Sie dienten vor allem der biomedizinischen Forschung als Versuchstiere. Aber auch die ersten Schimpansen in vielen Zoos lebten ursprünglich in freier Wildbahn, während heutige Zootiere in der Regel von in Gefangenschaft geborenen Tieren abstammen.

Forscher um Elfriede Kalcher-Sommersguter von der Universität Graz haben untersucht, welche Folgen die Trennung von der Mutter für die Schimpansen-Waisen hat. Untersuchungen über solche frühkindlichen traumatischen Erfahrungen gab es bislang nur beim Menschen und bei langfristig isoliert lebenden Laborschimpansen.

Fellpflege stärkt Beziehungen

Die Wissenschaftler erfassten einerseits das Verhalten von drei Schimpansengruppen in einer Zuflucht für ehemalige Labortiere im österreichischen Gänserndorf, wo diese auf ein Leben mit Artgenossen vorbereitet werden. Außerdem beobachteten sie etablierte Schimpansengruppen in den niederländischen Zoos in Arnhem und Amersfoort.

So unterschieden sie zwischen ehemaligen Labor-Affen, die über lange Zeit völlig allein lebten, und Tieren, die früh von der Mutter getrennt in einer Schimpansengruppe aufwuchsen. Besonderes Augenmerk legten die Wissenschaftler auf die gegenseitige Fellpflege der Schimpansen. Diese spielt eine wichtige Rolle für den Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen innerhalb von Schimpansen-Gruppen.

Weniger Partner zum gegenseitigen Lausen

Schimpansen, die innerhalb der ersten beiden Lebensjahre von ihren Müttern getrennt werden, sind in diesem Verhalten jedoch stark eingeschränkt, wie die Beobachtungen zeigten. „Die verwaisten Schimpansen hatten weniger Partner, denen sie das Fell pflegten und waren auch weniger aktiv im Vergleich zu Schimpansen, die mit ihren Müttern aufwuchsen“, sagt Erstautorin Kalcher-Sommersguter.

Diese Defizite in der sozialen Fellpflege zeigten sich nicht nur bei Schimpansen-Waisen, die jahrzehntelang in einem biomedizinischen Labor einzeln gehalten wurden, bevor man sie resozialisierte. Sie traten auch bei Schimpansen auf, die nach der Trennung von ihren Müttern in sozialen Gruppen in Zoos gelebt hatten. „Der Verlust der Mutter in früher Kindheit wirkt sich auch bei Schimpansen gravierend auf spätere Sozialbeziehungen aus“, fasst Studienleiter Jorg Massen von der Universität Wien zusammen: „Selbst Schimpansen, die bereits seit rund 40 Jahren in einer Gruppe lebten, zeigten diese Defizite.“ (Scientific Reports, 2015; doi: 10.1038/srep16439)

(Universität Wien, 10.11.2015 – AKR)

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