Singen hilft: Wenn das Baby Bauchweh hat oder nicht einschlafen kann, dann hilft leises Vorsingen besser als beruhigendes Zureden, wie ein Experiment belegt. Säuglinge blieben beim Hören eines Kinderlieds doppelt so lange ruhig wie bei leisem Reden der Mutter – und das sogar dann, wenn das Lied in einer völlig fremden Sprache erklang. Offenbar hilft die Musik den Babys dabei, ihre Gefühle besser zu kontrollieren, schlussfolgern die Forscher im Fachmagazin „Infancy“.
Es ist kein Zufall, dass Musik in nahezu allen menschlichen Kulturen eine wichtige Rolle spielt. Denn das Hören von Musik beeinflusst nicht nur unsere Stimmung, es wirkt sich auch positiv auf unsere Gesundheit aus und verändert sogar die Genexpression. und Kinder reagieren sogar schon im Mutterleib auf Flötenklänge, wie sich kürzlich zeigte.
Wiegenlied im Labor
Es ist daher kein Wunder, dass Mütter schon seit Jahrtausenden ihren Kindern Lieder vorsingen, um sie zu beruhigen oder ihr Einschlafen zu fördern. Aber hilft dieses Vorsingen tatsächlich besser als beispielsweise leises, beruhigendes Zureden? Dies haben Mariève Corbeil von der Universität Montreal und ihre Kollegen nun in einem Experiment mit 30 Säuglingen im Alter von sechs bis neun Monaten getestet.
Im Versuch lagen die Kinder in einem abgedunkelten Raum und so, dass sie ihre Mutter nicht direkt sehen konnten. Aus einem Lautsprecher ertönte entweder ein Kinderlied in vertrautem Französisch oder fremdem Türkisch, in einem weiteren Durchgang hörten die Kinder die Stimme ihrer Mutter, die ihnen beruhigend zuredete. Die Forscher beobachteten, wie lange die Säuglinge ruhig blieben, bis sie begannen das Gesicht zu verziehen und nach der für sie nicht sichtbaren Mutter zu jammern.
Singen beruhigt länger
Und tatsächlich: Ertönte das leise Lied, hielt es die Säuglinge doppelt so lange ruhig wie das leise Zureden. „Wenn sie dem türkischen Wiegenlied lauschten, blieben sie rund neun Minuten lang ruhig, bei Sprache war es nur halb so lang“, berichtet Corbeil. Beim vertrauten französischen Lied war der Effekt sehr ähnlich, was nach Ansicht der Forscher dafür spricht, dass die Musik und weniger die Worte für den Effekt wichtig sind.
„Unsere Ergebnisse lassen wenig Zweifel daran, dass Wiegenlieder sehr effektiv sind, um Säuglinge längere Zeit zu beruhigen“, sagt Seniorautorin Isabelle Peretz von der Universität Montreal. „Selbst in der relativ sterilen Atmosphäre des Labors und ohne taktilen oder visuellen Kontakt zu anderen Menschen verlängerte das Singen die positiven oder neutralen Stimmungen des Kindes und hemmte Stress.“
Mehr emotionale Kontrolle
Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies die Bedeutung von Musik gerade für kleine Kinder. Vor allem die Kinder- und Wiegenlieder mit ihrer einfachen, sich wiederholenden Struktur helfen den Säuglingen offenbar dabei, ihre Emotionen zu kontrollieren und lenken sie vom Stress ab. „Wir glauben, dass das Singen den Babys dabei hilft, diese Selbstkontrolle zu entwickeln“, meint Peretz.
Allerdings neigen Mütter heute gerade in den westlichen Ländern dazu, immer weniger zu singen und mehr mit ihren Kindern zu reden, wie die Forscher berichten. Das hilft zwar kurzfristig auch, die Säuglinge zu beruhigen, dem Sprechen allein fehle jedoch die Wirkung auf die emotionale Kontrolle. Daher sei es wichtig, Kindern Lieder vorzuspielen oder noch besser ihnen vorzusingen.
(Universite de Montreal, 02.11.2015 – NPO)