Nachwachsende Körperteile: Salamander haben ihre einzigartige Regenerationsfähigkeit möglicherweise nicht im Laufe der Evolution erworben – stattdessen könnten alle übrigen Landwirbeltiere diese Fähigkeit verloren haben. Zu diesem Ergebnis kommen Paläontologen anhand von fossilen Amphibien, wie sie im Magazin „Nature“ beschreiben. Die Regeneration der Salamander zu enträtseln, könnte auch für die Humanmedizin Fortschritte bedeuten.
Verlorene Gliedmaßen nachwachsen lassen und beschädigte Organe vollständig regenerieren – das klingt nach einem Traum der Medizin. Salamander beherrschen diesen Trick, und sind damit einzigartig unter den heute lebenden Landwirbeltieren. Während ihres ganzen Lebens wachsen ihnen durch Amputationen oder Verletzungen verlorene Beine, Schwänze und Teile der inneren Organe vollständig nach. Verständlicherweise sind die zugrundeliegenden Mechanismen auch für die Humanmedizin interessant
Entwicklung nach umgekehrtem Muster
Die Salamander unterscheiden sich nicht nur in ihrem Regenerationsvermögen der Beine von allen übrigen Landwirbeltieren. Bei ihnen wachsen die Beine während der Embryonalentwicklung anders. Die Entwicklung der Beine aller vierfüßigen Wirbeltiere – vom Frosch bis hin zum Menschen – folgt einem sehr konservativen Muster, trotz der Fülle von Formen und Funktionen, die die Beine bei verschiedenen Tieren erfüllen. Bei Salamandern hingegen verläuft dieses typische Muster in der umgekehrten Reihenfolge.
Für Biologen ist diese umgekehrte Entwicklung schon seit über hundert Jahren ein Rätsel, wie auch die Regenerationsfähigkeit. „Die Frage, die sich uns stellte war, ob und wie dieser andersartige Weg der Beinentwicklung und das hohe Regenerationsvermögen evolutiv miteinander zusammenhängen“, sagt Nadia Fröbisch vom Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung.
Salamanderartige Regeneration bei vielen Wirbeltieren
Klassischerweise galt die Ansicht, dass die Salamander ihre einzigartigen Fähigkeiten und Besonderheiten im Laufe der Evolution erworben haben. Anhand von Fossilimaterial verschiedener Amphibiengruppen aus den Erdzeitaltern des oberen Karbon und unteren Perm, also von vor etwa 300 Millionen Jahren, zeichnen Fröbisch und Kollegen nun jedoch ein anderes Bild: Demnach waren verschiedene Gruppen vierfüßiger Wirbeltiere in der Lage, ihre Beine und Schwänze nach Salamander-Art nachwachsen zu lassen.
Das umgekehrte Entwicklungsmuster der Beine scheint keine Rolle für die Regeneration zu spielen: „Wir konnten salamanderartiges Regenerationsvermögen sowohl bei fossilen Gruppen nachweisen, die ihre Beine wie die Mehrheit der heute lebenden vierfüßigen Wirbeltiere entwickeln, als auch bei solchen, die ein umgekehrtes Muster der Beinentwicklung wie bei heutigen Salamandern aufweisen“, sagt Koautorin Jennifer Olori von der State University of New York at Oswego.
„Vermutlich der Urzustand für alle Landwirbeltiere“
„Der Fossilbericht zeigt, dass die Form der Beinentwicklung moderner Salamander und das hohe Regenerationsvermögen nicht etwa etwas ganz Besonderes für Salamander ist, sondern vielmehr vermutlich der Urzustand für alle Landwirbeltiere darstellt“, bewertet Fröbisch das Ergebnis. „Die hohe Regenerationsfähigkeit ging dann im Laufe der Evolution der verschiedenen vierfüßigen Landwirbeltiere mindestens einmal, möglicherweise aber auch mehrfach unabhängig voneinander verloren, darunter auch in der Linie zu den Säugetieren.“
Die neuen Erkenntnisse sind nicht nur überraschend, sondern auch relevant für biomedizinische Studien, in denen es darum geht die molekularen Mechanismen der Salamander-Regeneration zu entschlüsseln. Diese könnten weitere Hinweise liefern, dass nicht allein Salamander-spezifische Faktoren dabei eine Rolle spielen. Stattdessen könnten gemeinsame Mechanismen entscheidend sein, die alle Landwirbeltiere aufgrund ihrer gemeinsamen Evolutionsgeschichte in sich tragen. (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature15397)
(Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, 27.10.2015 – AKR)