Hoffnung für Gelähmte: Mehrere vom Hals abwärts gelähmten Menschen können nach einer Operation ihre Arme und Hände wieder gebrauchen. US-Chirurgen haben dazu das verletzte Nervengewebe der Halswirbelsäule mit gesunden Nervenleitungen überbrückt. Auch wenn es danach Monate dauert, bis die Patienten lernen, ihre Arme wieder zu bewegen, bedeutet es für sie eine enorm verbesserte Lebensqualität: Sie können wieder selbst essen oder allein zur Toilette.
Vom Hals abwärts vollständig gelähmte Menschen sind auf intensive Pflege angewiesen: Da sie ihre Arme und Beine nicht bewegen können, brauchen sie Hilfe oder technische Hilfsmittel für alltägliche Dinge wie Anziehen, Essen oder einen Gang ins Badezimmer. Auch die Kontrolle über Blasen- und Darmfunktion verlieren viele Patienten durch eine Lähmung. Der damit verbundene Verlust an Selbständigkeit und Privatsphäre ist ein extremer Einschnitt in die Lebensqualität der Betroffenen.
Umleitung für Nervensignale
Es ist also verständlich und wichtig, dass Mediziner auch kleinsten Erleichterungen für gelähmte Menschen große Aufmerksamkeit schenken. Ein Team von Neuro-Chirurgen um Ida Fox von der Washington University in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri hat einen bedeutenden Schritt in diese Richtung geschafft: In ihrer Studie berichten die Mediziner von neun nach einem Unfall vom Hals abwärts gelähmten Menschen, die zumindest teilweise die Kontrolle über ihre Arme zurück gewannen.
Die Chirurgen überbrückten in einer Operation die bei einer Verletzung der Wirbelsäule beschädigten oder durchtrennten Nerven. Dazu benutzten sie gesundes Nervengewebe, etwa aus dem Oberarm, und verbanden damit die unterbrochenen Nervenbahnen im Bereich der Nackenwirbel. So bauten sie gewissermaßen eine Umleitung für die Nervensignale um die verletzte Stelle. Die Mediziner vergleichen dies mit dem Umleiten von Zügen in einem Schienennetz.
Riesige Schritte für die Lebensqualität
Diese zugrundeliegende Idee ist nicht völlig neu: Bei Nerven in einzelnen verletzten Gliedmaßen wie einer Hand oder einem Fuß setzen Mediziner diesen Nerven-Transfer bereits seit über 20 Jahren ein. Fox und Kollegen haben innerhalb der letzten fünf Jahre jedoch auch Schäden an der Halswirbelsäule mit dieser Methode behandelt. Die Operation dauert etwa vier Stunden und ist so einfach, dass die Patienten oft schon einen Tag danach wieder nach Hause können. Selbst mehrere Jahre nach einem Unfall ist die Nerven-Umleitung noch möglich.
Die körperlichen Fortschritte allerdings fallen zunächst gering aus: Erst in sechs bis achtzehn Monaten intensiver Physiotherapie lernten die Patienten, die neuen Nervenverbindungen zu nutzen. Danach konnten alle wenigstens einen Arm und ihre Finger selbständig bewegen. „Körperlich bringt der Nerven-Transfer eine schrittweise Verbesserung der Arm- und Handfunktionen“, sagt Fox. „Psychologisch jedoch sind diese kleinen Schritte riesig für die Lebensqualität eines Patienten.“
Selbständig essen oder zur Toilette
So beschrieb einer der erfolgreich behandelten Männer, wie viel es ihm bedeutete, eine beim Essen heruntergefallene Nudel selbst von seiner Brust wischen zu können. Ein anderer Patient war durch die Operation in der Lage, sich selbst einen Katheter zu legen, so dass er nun auch Toilettengänge teilweise allein erledigen kann. Ein nach einem Unfall halsabwärts gelähmter Arzt konnte seinen Arm gut genug gebrauchen, um wieder einfache Ohrenuntersuchungen durchzuführen. Außerdem konnte er wieder selbständig essen.
Die Möglichkeiten der Operation sind bislang noch eingeschränkt: Die Chirurgen können nur Schäden im Bereich des sechsten und siebten Halswirbels behandeln. Bei höher liegenden Verletzungen sind meist auch die Armnerven irreparabel geschädigt. Mit Blick auf die enormen Fortschritte der Neurochirurgie in den letzten zwanzig Jahren hoffen die Mediziner jedoch, dass sie gelähmten Menschen bald auch völlige Bewegungsfreiheit wieder herstellen können. (Plastic and Reconstructive Surgery, 2015; doi: 10.1097/PRS.0000000000001641)
(Washington University in St. Louis, 09.10.2015 – AKR)