Der erst vor kurzem entdeckte Homo naledi gibt weitere Rätsel auf. Denn seine Füße sind moderner als die der meisten anderen Vormenschen, wie neue Analysen bestätigen. Seine Handanatomie spricht zudem dafür, dass der Homo naledi schon Werkzeuge herstellte und nutzte, aber trotzdem noch auf Bäumen herumkletterte – was bisher als Widerspruch galt. Wo dieser Vormensch einst im Menschen-Stammbaum stand, bleibt daher noch immer offen, wie zwei Forscherteams im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Erst vor kurzem enthüllten Fossilfunde in Südafrika einen neuen Ast am Stammbaum des Menschen: den Homo naledi. Schon damals staunten die Forscher über das seltsame Mosaik aus primitiven und verblüffend modernen Merkmalen dieses Vormenschen. Kombiniert mit der fehlenden Datierung der Fossilien macht es dies schwer, den ungewöhnlichen Homininen in unseren Stammbaum einzuordnen. Auf der Suche nach Antworten haben nun zwei Forscherteams die Hand- und Fußrelikte des Homo naledi genauer analysiert.
Ein fester, präziser Griff
Tracy Kivell von der University of Kent in Canterbury und ihr Team untersuchten die Knochen einer nahezu vollständigen rechten Hand des Homo naledi. Dabei zeigten sich schon am Daumen erstaunlich moderne Merkmale: Zwei gut ausgeprägte Muskelansatzstellen verraten, dass der Vormensch bereits viel Kraft in seinem Daumen besaß.
„Einer dieser Muskeln ist wichtig für die Opposition von Daumen und Fingern, und dafür, große Objekte festhalten und manipulieren zu können“, erklären die Forscher. „Der zweite Muskel wird für das präzise Zugreifen benötigt.“ Auch das Handgelenk des Homo naledi ähnelt verblüffend stark dem des modernen Menschen und des Neandertalers. Seine Anatomie erlaubte es ihm, Objekte besser mit einer Hand zu halten und zu bewegen.
„Diese Kombination von Merkmalen findet man nur bei engagierten, regelmäßigen Werkzeugnutzern“, sagen Kivell und ihre Kollegen. Auch wenn in der Höhle bisher keine Faustkeile oder andere Werkzeuge gefunden wurden, spricht dies ihrer Ansicht klar dafür, dass dieser Vormensch sich schon daran angepasst hatte, Werkzeuge herzustellen und einzusetzen.
Klettern gehörte zu seinem Lebensstil
Das zweite Erstaunliche an den Händen des Homo naledi sind seine Finger. „Die Finger sind lang und bemerkenswert gekrümmt, ähnlich wie bei heutigen Menschenaffen und frühen Homininen“, berichten die Anthropologen. Mittel- und Ringfinger sind sogar länger als die fast jedes anderen bekannten Vormenschenfossils. Gemeinhin gilt diese Kombination als typische Anpassung an eine kletternde Lebensweise: Die gebogenen Finger geben einen besseren Halt beim Greifen von Ästen und Festhalten in der Baumkrone.
Daraus schließen die Forscher, dass Homo naledi zumindest einen Teil seiner Zeit noch in den Bäumen verbrachte. Daraus aber gibt sich eine äußerst ungewöhnliche Kombination: Ein Vormensch, der noch in den Bäumen umherkletterte wie in Affe, aber trotzdem schon aufrecht ging und regelmäßig Werkezuge nutze und herstellte. „Die Hand des Homo naledi belegt, dass beides durchaus miteinander vereinbar war“, so Kivell und ihre Kollegen.
Fast so modern wie der Neandertaler
Ähnlich verwirrend und einzigartig sind auch die Ergebnisse für den Fuß des Homo naledi. William Harcourt-Smith von der City University of New York und sein Team haben dafür 107 Fußknochen aus der Rising-Star-Höhle analysiert. Dabei stießen sie ebenfalls auf eine Mischung aus neu und alt. Einerseits war das Fußgewölbe noch flach, die Ferse menschenaffenähnlich und die Zehen waren – ähnlich wie die Finger – auffallend gekrümmt.
Andererseits deuten die Proportionen und Winkel der Fußknochen darauf hin, dass die Füße ähnlich gut zum Gehen geeignet waren wie unsere Füße. Der Mittelfuß war zudem schon deutlich steifer als bei Menschenaffen und dem Australopithecus sediba. Insgesamt besaß der Homo naledi damit bereits erstaunlich moderne Füße. „Sie sind weiter entwickelt als die aller frühen Menschenformen mit Ausnahme des Neandertalers und modernen Menschen“, konstatieren Harcourt-Smith und seine Kollegen.
Viele offene Fragen
Diese Erkenntnisse bestätigen, dass der Homo naledi ein ziemlich einzigartiges Mosaik aus alten und modernen Merkmalen darstellt. Und sie werfen einige Fragen auf. Denn sollte Homo naledi ein Zeitgenosse der Australopithecinen gewesen sein, dann war er ihnen zumindest in Werkzeugnutzung und Fußanatomie weit voraus. Lebte dieser Vormensch jedoch später, dann stellt sich die Frage, warum er ein noch immer so kleines Gehirn besaß.
Solange es nicht gelingt, die Fossilien aus der Rising-Star-Höhle genauer zu datieren, wird es schwer sein, die Rolle des rätselhaften Homo naledi in der Menschheitsgeschichte einzuordnen. (Nature Communications, 2015; doi: 10.1038/ncomms9431)
(Nature, 07.10.2015 – NPO)