Neurobiologie

Hirn-Schalter für väterliches Verhalten?

Spezifische Hirnregionen machen Mäuse zu Kindsmördern oder Mustervätern

Das Verhalten männlicher Mäuse folgt einfachen und typischen Aktivitätsmustern in bestimmten Hirnregionen. © FreeImages.com / sciart

Vaterliebe auf Knopfdruck? Männliche Mäuse töten fremden Nachwuchs oder kümmern sich fürsorglich darum – je nachdem, welche von zwei Hirnregionen aktiv ist. Japanische Wissenschaftler haben das Zusammenspiel dieser Regionen erforscht und konnten das Verhalten der Mäusemännchen innerhalb weniger Tage umschalten. Nun wollen sie herausfinden, ob auch das Verhalten von Primaten durch ähnliche Prozesse gesteuert wird.

Im Tierreich benehmen sich die männlichen Exemplare nicht immer väterlich – besonders Stiefväter können aus menschlicher Sicht ausgesprochen grausam vorgehen: Männliche Löwen und Schimpansen, aber auch Mäuse töten oft den neugeborenen Nachwuchs anderer Männchen. Auf diese Weise haben sie bessere Chancen, sich selbst mit dem jeweiligen Weibchen zu paaren und eigene Nachkommen zu zeugen.

Grundsätzlicher Verhaltenswechsel

Mäusemännchen begehen diesen Kindsmord allerdings nur, solange sie sich selbst nie gepaart haben. Sobald sie einmal selbst bei der Aufzucht von eigenem Nachwuchs geholfen haben, ändert sich ihr Verhalten grundsätzlich: Sie verhalten sich dann ausgesprochen väterlich und kümmern sich um junge Mäuse– auch wenn es nicht ihre eigenen Nachkommen sind.

Was Eltern dazu bringt, sich fürsorglich um ihre Kinder zu kümmern, interessiert Wissenschaftler schon seit langem. Sie hoffen auch auf eine Erklärung, warum diese Mechanismen beim Menschen manchmal versagen und die elterliche Liebe sogar in Aggression umschlagen kann. Aus diesem Grund haben Kumi Kuroda vom japanischen RIKEN Brain Science Intitute und ihre Kollegen untersucht, ob sich der Sinneswandel der Mäuse in deren Gehirn nachvollziehen lässt.

Typische Hirnaktivitätsmuster bestimmen das Verhalten

Dazu beobachteten sie zunächst, wie sich einzelne Mäusemännchen gegenüber Jungtieren verhielten, fürsorglich oder aggressiv. Dann überprüften sie die Aktivität eines Gens namens c-Fos in neun bestimmten Regionen im Vorderhirn der Mäuse. Dieses Gen gilt als zuverlässiger Marker, mit dem sich Aktivität in einer Hirnregion auch nach einer gewissen Zeit noch nachweisen lässt.

Bei dieser Suche wurden die Forscher fündig: Eine Hirnregion namens cMPOA war besonders aktiv, wenn die Tiere sich väterlich um die jungen Mäuse kümmerten. Waren sie dagegen aggressiv, zeigte die BSTrh-Region stärkere Aktivität. Dies funktionierte so genau, dass die Forscher sogar umgekehrt von den c-Fos-Werten auf das Verhalten der Mäuse schließen konnten und dabei in über 95 Prozent der Fälle richtig lagen.

Mäusemutter mit ihren Jungen © Seweryn Olkowicz / CC-by-sa 3.0

Interessanterweise traten diese typischen Aktivitätsmuster nicht nur dann auf, wenn sich die Mäusemännchen tatsächlich so verhielten. Die bloße Absicht reichte bereits aus. Dies überprüften die Forscher, indem sie die Jungtiere in Sicht der Männchen, aber durch ein Drahtgitter von diesen getrennt hielten. „Dies ist das erste Mal, dass wir die Absichten eines Individuums zu bestimmtem Sozialverhalten einfach an Aktivitätsmustern in einer kleinen, festgelegten Hirnregion erkennen können“, betont Kuroda.

Fürsorge lässt sich mit Licht anschalten

War eine der beiden verantwortlichen Hirnregionen durch eine Verletzung deaktiviert, so zeigten die Mäuse erwartungsgemäß das jeweils andere Verhalten. Die Neurowissenschaftler wollten jedoch auch wissen, wie der Wechsel von einem zum anderen Verhaltensmuster geschieht. Sie fanden heraus, dass vor allem hemmende Nervenverbindungen von der „Väterlichkeitsregion“ cMPOA zur „Kindsmordregion“ BSTrh existierten. Daher vermuteten die Forscher, dass eine Aktivierung von cMPOA das aggressive Verhalten abschaltet, so dass die väterliche Fürsorge überwiegt.

Dies überprüften sie mit Hilfe der sogenannten Optogenetik: Bei dieser Methode erstellen Forscher durch Genmanipulation Nervenzellen, die auf Licht reagieren und dann entweder aktivierende oder hemmende Signale feuern. Über Glasfasern lassen sich so ganz gezielt bestimmte Hirnregionen ansteuern. Aktivierten die Wissenschaftler auf diese Weise die cMPOA-Region, so ließen nach wenigen Tagen auch zuvor aggressive Mäusemännchen von den Jungtieren ab und verhielten sich stattdessen väterlich.

Aggressive Absichten im Hirn ablesbar?

Durch welche Vorgänge bei der Paarung mit einem Weibchen die cMPOA-Region anspringt, wissen die Forscher allerdings noch nicht. Der Bereich des Vorderhirns, in dem die beiden kontrollierenden Regionen liegen, ist jedoch bei allen Säugetieren äußerst ähnlich. Die Forscher nehmen daher an, dass bei Primaten und also auch beim Menschen ähnliche Prozesse das Verhalten bestimmen. Allerdings erwarten sie im menschlichen Gehirn aufgrund der höheren kognitiven Fähigkeiten eine wesentlich komplexere Situation.

In Versuchen an Marmosetten wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob auch bei Primaten solche spezifischen Hirnregionen über das Verhalten entscheiden. Wenn es solche Regionen tatsächlich gibt, führt dies zu Überlegungen wie aus einem Science Fiction Scenario: Bildgebende Techniken wie die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie könnten in Zukunft aggressive Absichten schon frühzeitig sichtbar machen. Neben dem neurologischen Wissen erfordere dies jedoch sorgfältige ethische Abwägungen, so die Forscher. (The EMBO Journal, 2015; doi: 10.15252/embj.201591942)

(EMBO / RIKEN, 01.10.2015 – AKR)

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