Weniger Schmerz, weniger Mitgefühl: Unsere Fähigkeit, den Schmerz anderer Menschen nachzuempfinden, hängt von unserer eigenen Schmerzempfindlichkeit ab. Sind wir selbst eher schmerztolerant oder haben wir ein Schmerzmittel genommen, dann schätzen wir auch das Leiden anderer als nicht so schlimm ein, wie ein Experiment belegt. Der Grund für diese Verbindung: Empathie und Schmerzwahrnehmung aktivieren ähnliche Hirnareale und reagieren beide offenbar auf Opioide.
Nicht jeder empfindet Schmerzen gleich intensiv: Schon länger weiß man beispielsweise, dass Frauen sensibler auf Schmerzen reagieren als Männer. Aber auch die Verknüpfungen im Gehirn spielen für die Schmerzempfindlichkeit eine Rolle. Zudem kann schon ein langes Ausschlafen oder eine effektive Ablenkung dabei helfen, die Schmerztoleranz zu erhöhen, wie Forscher herausfanden.
Wie aber sieht es mit dem Mitfühlen des Schmerzes anderer aus? Gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zum eigenen Empfinden – nach dem Motto: Wenn ich nicht viel spüre, hab ich auch weniger Mitleid mit anderen? Man weiß bereits, dass Empathie und eigenes Erleben im Gehirn sehr eng miteinander verknüpft sind – beide aktivieren teilweise die gleichen Hirnareale. Claus Lamm von der Universität Wien und seine Kollegen haben daher überprüft, wie eng Schmerzempfinden und Empathie für andere tatsächlich zusammenhängen.
Wie stark leidet der andere?
Für ihr Experiment zeichneten die Forscher die Hirnaktivität von 102 Probanden auf, während diese durch elektrische Reizung ihrer Haut leichte Schmerzen zugefügt bekamen. Gleichzeitig sahen diese auf dem Monitor ein bestimmtes Symbol das den Schmerz ankündigte. Alle Teilnehmer wurden zudem danach gefragt, wie stark sie diese Schmerzen subjektiv empfanden und in einem psychologischen Test auf ihre Empathie getestet.
Spannend wurde dann im zweiten Versuchsteil: In diesem erhielten zunächst wieder alle Teilnehmer den Schmerzreiz. Dann jedoch sahen sie das schmerzverzerrte oder neutrale Gesicht eines anderen Menschen, dem gerade vermeintlich Schmerzen zugefügt wurden. Die Probanden sollte einschätzen, wie stark der andere den Schmerz empfindet. Der Clou dabei: Ein Teil der Probanden hatte vor diesem Versuch ein Schmerzmittel erhalten, der Rest nur ein Placebo.
Schmerzmittel hemmt Empathie
Wie sich zeigte, linderte das Schmerzmittel nicht nur die von den Teilnehmern selbst empfundenen Schmerzen. Es veränderte auch ihre Empathie: Unter der Wirkung des Medikaments schätzten die Probanden auch das Leiden der anderen als weniger schlimm ein. Dieser Trend zu weniger Empathie zeigte sich auch in ihrem Gehirn: Die beiden Areale in der Hirnrinde, die sowohl für Schmerz als auch für mitgefühlten Schmerzen zuständig sind, reagierten bei den Schmerzmittel-Probanden schwächer.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Empathie sehr stark und unmittelbar in unseren eigenen Erfahrungen – bis hin zu deren körperlichen und neuronalen Grundlagen – begründet sein kann“, sagt Lamm. „Das ist mit ein Grund, warum uns die Gefühle anderer Personen so ’nahe gehen‘ können – weil wir sie eben nicht nur sinnbildlich so ’nachempfinden‘, als ob wir sie gerade selbst erleben.“ Andererseits erkläre dieser Effekt auch, warum Empathie teilweise in eine falsche Richtung gehen kann – weil wir die anderen Personen eben primär aus unserem eigenen Blickwinkel heraus beurteilen.
Körpereigene Opioide beteiligt
Der Versuch gab auch erste Hinweise darauf, über welchen Mechanismus Schmerzempfinden und Empathie verknüpft sind: Bei beiden spielen neuronale Schaltkreise eine wichtige Rolle, die auf körpereigene Opioide reagieren. „Diese Bereiche im Gehirn stellen zentrale Bestandteile des körpereigenen Opiatsystems dar, also jenes Systems, das an der Dämpfung von selbst empfundenem Schmerz beteiligt ist“, erklärt Lamm.
Was passiert, wenn man dieses System manipuliert, testeten die Forscher in einem weiteren Versuchsdurchgang. Bei diesem verabreichten sie den Probanden erneut ein Schmerzmittel, gaben aber der Hälfte kurz darauf ein Mittel, das die Opiat-Rezeptoren im Gehirn blockiert. Das macht das Schmerzmittel unwirksam und normalisiert sozusagen ihre Schmerzreaktion.
Opiatblocker normalisiert Empathie
Wie sich zeigte, normalisierte sich mit der Schmerzreaktion und der Blockade des Schmerzmittel-Opiats auch die Empathie der Teilnehmer: Sie fühlten nun wieder genauso intensiv mit den vermeintlich Schmerzgeplagten mit wie ohne Schmerzmittel. „Das macht eine mögliche Beteiligung des Opiatsystems an der ‚Placeboempathie‘ wahrscheinlicher und stellt für uns einen bedeutenden Schritt zu einem mechanistischeren Verständnis von Empathie dar“, sagt Lamm.
Wie genau die Opioide unsere Empathie beeinflussen, ist allerdings noch unklar. „Wir stellen uns nun die Frage, inwieweit die beobachteten Effekte im Opiatsystem direkt auf empathische Prozesse wirken, oder lediglich über den Umweg der Manipulation des eigenen Erlebens entstehen“, erklärt Lamm. Das Team arbeitet derzeit an einer weiteren Studie, die direkte Effekte einer Opiatverabreichung auf Empathie untersucht. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1511269112)
(Universität Wien, 29.09.2015 – NPO)