3.769 Atome auf einen Blick: Forschern ist der bisher genaueste Blick in das Innere eines Materials gelungen. Sie bildeten erstmals die Position von tausenden von einzelnen Atomen präzise ab. Sogar eine einzelne Fehlstelle in der Wolframprobe konnten sie atomgenau ausfindig machen. Dies eröffnet künftig ganz neue Möglichkeiten, Materialien maßzuschneidern und auch zu überprüfen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Materials“ berichten.
1959 forderte der Physiker Richard Feynman die Forschergemeinde zu einer damals unlösbaren Aufgabe heraus: die dreidimensionale Positionen einzelner Atome in einem Material zu lokalisieren. Zwar konnte man damals schon per Röntgenkristallografie die Struktur von kristallinen Feststoffen bestimmen. Doch die Beugungsbilder dieser Methode verraten nur die ungefähren Positionen von mehreren Millionen Atomen auf einmal.
„Die Atompositionen, die man mit der Röntgenkristallografie erhält, repräsentieren nur den Durchschnitt von vielen Basiszellen im Kristall“, erklären Rui Xu von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen. Umgekehrt kann man mit der Rastertunnelmikroskopie oder dem Elektronenmikroskop zwar einzelne Atome abbilden, aber nur in zwei Dimensionen – als Oberflächenschicht. Feynmans Aufgabe blieb daher ungelöst – bis jetzt.
Genaues Abbild von 3.769 Einzelatomen
Xu und seine Kollegen haben nun erstmals tausende von einzelnen Atomen in einer Wolframprobe punktgenau lokalisiert. Ihre neue Methode bildet die Atompositionen bis auf 19 Pikometer genau ab – das entspricht einem Billionstel Meter und ist kleiner als der Durchmesser eines Wasserstoffatoms. Die Forscher konnten dabei sogar ein einzelnes fehlendes Atom im Material ausmachen, einen sogenannten Punktfehler.
Dieser erste scharfe Blick in die Atomanordnung eines Materials gelang ihnen durch eine verblüffend simple Abwandlung der normalen Transmissions-Elektronenmikroskopie. Sie legten eine kleine Wolframprobe in das Mikroskop und scannten sie nicht nur einmal, sondern 62 Mal mit jeweils leicht verschiedener Neigung. Mit Hilfe einer speziellen Software errechneten sie aus diesen Einzelbildern ein präzises 3D-Modell der 3.769 Atome in der Wolframprobe.
Tomografie mit dem Elektronenmikroskop
Im Prinzip funktioniert das Ganze damit wie eine Röntgentomografie – nur eben im Elektronenmikroskop und damit mit atomgenauer Auflösung. Das 3D-Modell bildete die Anordnung der Wolframatome genau ab. Es zeigte, dass sie in neun Schichten liegen und dass die sechste Schicht einen Punktfehler enthält, wie die Forscher berichten. Es könnte sich um ein fehlendes Atom im Gitter handeln oder ein an dieser Stelle liegendes kleineres Fremdatom.
„Solche Punktdefekte beeinflussen die Eigenschaften eines Materials und spielen daher eine wichtige Rolle“, erklärt Seniorautor Jianwei Miao von der UC Los Angeles. „Uns ist nun die erste experimentelle Bestimmung eines solchen Punktdefekts im Inneren eines Materials und in drei Dimensionen gelungen.“
„Ein wichtiger Durchbruch“
Das sei ein wichtiger Durchbruch, so die Forscher. Denn das Wissen um die Präsenz und genaue Position von Punktfehlern in einem Material beeinflusst nicht nur die Stabilität, es kann auch dabei helfen, beispielsweise maßgeschneiderte Halbleiter für Elektronik und neuartige Computerspeicher zu entwickeln.
„Diese Arbeit wird einen Paradigmenwechsel auslösen in Bezug darauf, wie Materialien im 21. Jahrhundert charakterisiert werden“, meint Miao. „Es könnte unser Verständnis der Materialeigenschaften und –funktionalität auf fundamentale Weise verändern.“ Nature Materials, 2015; doi: 10.1038/nmat4426)
(University of California – Los Angeles, 22.09.2015 – NPO)