Medizin

Kaffee verstellt unsere innere Uhr

Tagesrhythmus wird schon durch eine Tasse Kaffee am Abend 40 Minuten verschoben

Schon eine Tasse Kaffee am Abend lässt die innere Uhr 40 Minuten nachgehen © Astarot/ iStock.com

Die Wirkung des Kaffees geht viel weiter als gedacht. Denn das koffeinhaltige Getränk macht nicht nur wach, es verschiebt auch unsere innere Uhr. Schon eine Tasse Kaffee abends reicht aus, um unseren Tag-Nacht-Rhythmus um 40 Minuten nach hinten zu verlagern, wie Forscher im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ berichten. Das Koffein macht damit aus chronobiologischen „Lerchen“ späte Nachteulen, die auch am nächsten Morgen entsprechend später aufwachen.

Kaffee ist der Wachmacher schlechthin, er hilft müden Morgenmuffeln in den Tag und hält fit, wenn es mal wieder abends etwas länger dauert. Dabei reicht sogar schon der Duft des Kaffees am Morgen aus, um Körper und Gehirn auf „wach“ zu programmieren. Die wachmachende Wirkung des Koffeins beruht darauf, dass es an speziellen Rezeptoren der Nervenzellen andockt. Dadurch ist der Zugang für den hemmenden Botenstoff Adenosin blockiert, der normalerweise für Beruhigung und Dämpfung sorgen würde. Gleichzeitig wirkt Koffein auch auf andere Reaktionsketten in den Körperzellen und stimuliert so ebenfalls.

Beeinflusst Koffein auch den Tagesrhythmus?

Ob aber die Wirkung des Kaffees über diese neurophysiologische Stimulation hinausgeht und womöglich sogar die innere Uhr beeinflusst, war bisher unklar. Aus Versuchen mit Algen, Schimmelpilzen und Taufliegen weiß man jedoch, dass Koffein bei diesen Organismen den Tagesrhythmus verlängern kann. Auch auf die Gene der inneren Uhr scheint Koffein unter bestimmten Bedingungen wirken zu können.

Um herauszufinden, ob Kaffee beim Menschen tatsächlich in den Tag-Nacht-Rhythmus eingreifen kann, gingen Tina Burke von der University of Colorado in Boulder und ihre Kollegen mit fünf Probanden in ein chronobiologisches Schlaflabor. Die Teilnehmer hatten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Wochen lang auf Koffein verzichtet und darauf geachtet, einen möglichst regelmäßigen, normalen Tagesablauf beizubehalten.

Placebo oder Koffeinpille? Das wussten weder die Probanden noch die Experimentatoren. © Ronaldo Taveira / freeimages

Koffein oder Placebo als Betthupferl

Drei Stunden vor ihrer üblichen Bettzeit bekamen die Teilnehmer jeweils vier Kapseln überreicht, die sie mit Wasser schlucken sollten. Einige Kapseln enthielten nur Reismehl und dienten als Placebokontrolle. Die anderen jedoch enthielten 2,9 Milligramm pro Kilogramm Körpermasse Koffein. Dies entspricht etwa der Koffeinmenge einer Tasse Kaffee, wie die Forscher erklären.

In einigen Versuchsdurchgängen verbrachten die Probanden den Rest der Zeit bis zum Schlafengehen still dasitzend bei schummrigem Dämmerlicht, in anderen bei sehr hellem Licht von 3.000 Lux – das ist rund ein Drittel dessen, was beispielsweise Therapielampen gegen Winterdepression ausstrahlen. Alle 30 bis 60 Minuten entnahm ein Assistent eine Speichelprobe, aus der später der Gehalt des Schlafhormons Melatonins ermittelt wurde.

40 Minuten verzögert

Das Ergebnis: Die Probanden, die bei Schummerlicht Koffein bekommen hatten, blieben im Durchschnitt 40 Minuten länger wach als die Placebo-Empfänger unter gleichen Lichtverhältnissen. „Das ist ein ziemlich großer Effekt“, sagen die Forscher. Am nächsten Morgen wachten diese Teilnehmer auch entsprechend später auf – ihr Tag-Nacht-Rhythmus hatte sich verschoben.

Rein theoretisch könnte dieser Effekt auf die aufputschende Wirkung des Koffeins zurückgehen. Dass dies aber nicht der Fall war, bewiesen die Speichelproben: Bei der Koffeingruppe stieg auch der Melatoninspiegel deutlich später an als bei der Placebogruppe. Die Ausschüttung dieses Hormons wird normalerweise von der inneren Uhr beeinflusst: Etwa zwei Stunden vor Beginn der üblichen Schlafperiode wird mehr Melatonin freigesetzt und dies macht uns müde. Nachts wird das Hormon wieder abgebaut und dadurch wachen wir morgens ausgeruht auf.

Von hellem Licht ist schon länger bekannt, dass es den Tagesrhythmus verschieben und die innere Uhr beeinflussen kann. Daher war es wenig verwunderlich, dass die Teilnehmer bei den Durchgängen mit hellem Licht ebenfalls später ins Bett gingen und länger schliefen. Aber auch dort gab es einen – wenn auch weniger deutlichen – Unterschied zwischen der Placebo- und der Koffeingruppe, wie die Forscher berichten. Ohne Koffein verschob sich der Rhythmus um 85 Minuten, mit dagegen um 105 Minuten.

Wirkung bis in den Zellstoffwechsel

Der Koffein-Effekt war sogar an bloßen Zellen nachweisbar: Gaben die Forscher zu Kulturen menschlicher Zellen Koffein, veränderte dies den zirkadianen Aktivitätsrhythmus in den Uhrengenen dieser Zellen. Die physiologische Tagesperiode verlängerte sich dadurch. „Diese Ergebnisse belegen, dass Koffein die Phase der menschlichen inneren Uhr beeinflusst – sowohl in vivo als auch in vitro“, konstatieren Burke und ihre Kollegen.

Aber wie wirkt das Koffein auf die innere Uhr? Auch das enthüllten die Zellkultur-Versuche. Denn der Effekt trat nur dann auf, wenn das Koffein an einen bestimmten Untertyp von Adenosin-Rezeptoren andocken konnte, wie die Forscher feststellten. Diese Bindung löste eine Reaktionskette aus, die zur Freisetzung des Botenstoffs cAMP führte – einer wichtigen Komponente der zellulären Uhr.

Antriebsmittel für Nachteulen?

Nach Ansicht der Forscher belegen diese Ergebnisse, dass Koffein mehr bewirkt als nur zu stimulieren. Es greift stattdessen unerwartet tief in die Regulation unseres biologischen Rhythmus ein. Denn die innere Uhr regelt nicht nur, wann wir müde werden und schlafen, auch der Stoffwechsel schwingt im Rhythmus dieses chronobiologischen Taktes.

Das Wissen um den verzögernden Effekt des Koffeins könnte dazu beitragen, Schlafstörungen und Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus gezielt er zu behandeln, so die Forscher. Und es könnte erklären, warum die „Nachteulen“ unter uns Menschen meist besonders viel Kaffee trinken: Möglicherweise trägt das Koffein sogar noch dazu bei, den ohnehin schon nach hinten verschobenen Tagesrhythmus weiter zu verschieben. (Science Translational Medicine, 2015; doi: 10.1126/scitranslmed.aac5125)

(American Association for the the Advancement of Science (AAAS), 17.09.2015 – NPO)

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