Zur Zärtlichkeit verführt: Erst eine Illusion unserer Wahrnehmung macht das gegenseitige Streicheln so befriedigend. Denn unser Tastsinn lässt uns die Haut des anderen bei sanften Berührungen immer weicher erscheinen als unsere eigene, wie ein Experiment zeigt. Und das weiche, glatte Gefühl löst wiederum eine positive Reaktion in unserem Belohnungszentrum aus., wie die Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.
Ob für das Neugeborene oder den Erwachsenen: Wir Menschen brauchen für unsere seelisches Wohlergehen die Berührung. Der sanfte Kontakt fördert die soziale Bindung und bewirkt tiefgreifende neurophysiologische und sogar epigenetische Veränderungen. 2002 entdeckten Forscher, dass es für das sanfte Streicheln sogar ganz eigene Leitungen gibt: Das sogenannte CT-Netz reagiert speziell auf diese Berührungen und schickt die Signale direkt ans Gefühlszentrum des Gehirns.
Und noch etwas ist einzigartig an dieser Wahrnehmung: „Man kann eine andere Person nicht berühren, ohne selbst berührt zu sein“, erklären Antje Gentsch und ihre Kolleginnen vom University College London. Denn der Hautkontakt ist immer gegenseitig. Interessanterweise fühlt sich aber das Streicheln der eigenen Haut nie genauso an, als wenn wir die Haut eines anderen berühren. Aber warum?
Die fremde Haut scheint weicher
Um das herauszufinden, führten die Forscher mehrere Experimente mit Freiwilligen durch. Diese sollten mit verbundenen Augen abwechselnd eine Stelle am Arm oder der Handfläche eines Partners streicheln und an ihrem eigenen. Dabei sollten sie mit Hilfe von vorgegeben Eigenschaftswörtern und Skalen beschreiben, wie weich und angenehm diese Berührung für sie war.
Das interessante Ergebnis: Alle Probanden empfanden die Hut des jeweils anderen konsistent als weicher und angenehmer als ihre eigene – selbst wenn dies objektiv nicht der Fall war. Offenbar überwog das angenehme Gefühl dabei sogar die natürliche Scheu, einen Fremden einfach so anzufassen. Interessant auch: Die Einschätzung der fremden Haut als weicher trat nur bei langsamem Streicheln auf, nicht aber bei statischen Druck oder schnellem Darüberstreifen.
Gezielte und spezifische Täuschung
Nach Ansicht der Forscher zeigt dies Zweierlei: Zum einen werden wir bei solchen sozialen Berührungen offenbar von unseren eigenen Sinnen getäuscht. Sie gaukeln uns vor, die Haut des anderen sei weicher und erzeugen damit ein besonders starkes Wohlgefühl. „Wir bezeichnen dieses Phänomen als soziale Weichheits-Illusion““, erklären die Forscher. Denn es handelt sich dabei um eine Täuschung der eigenen Wahrnehmung.
Zum anderen ist diese Illusion sehr spezifisch: Sie funktioniert nur bei den langsamen, zarten Berührungen, auf die auch das für das Streicheln zuständige CT-Netzwerk reagiert. „Das fanden wir besonders spannend an dieser Illusion“, sagt Gentsch. „Sie wirkt am stärksten, wenn die Berührung absichtlich ist und den optimalen Bedingungen für emotionale Berührungen entspricht.“
Unbewusster Mechanismus
Wie die Forscher erklären, ist diese Illusion kein Selbstzweck. Sie hat stattdessen eine wichtige Aufgabe in unserem Sozialverhalten. Denn das Berühren von weichen Materialien löst instinktiv ein Wohlgefühl bei uns aus. Das Belohnungssystem unseres Gehirns springt an und bringt uns dazu, noch mehr von diesem angenehmen Gefühl zu wollen. Das fördert soziale Berührungen und wirkt so wie ein Kitt in unseren Beziehungen.
Und genau das ist der Sinn der sozialen Weichheits-Illusion. „Die Illusion enthüllt einen automatischen und unbewussten Mechanismus, der uns gegenseitige Berührungen angenehm macht“, erklärt Koautorin Aikaterini Fotopoulou. „Wir empfinden Freude beim Geben von Freude.“ Als nächstes wollen die Forscherinnen nun herausfinden, welche neurophysiologischen Mechanismen hinter dieser Illusion stecken. Zudem möchten sie untersuchen, ob es Unterschiede dieser Illusion zwischen Fremden, Freunden oder Partnern gibt. (Current Biology, 2015; doi: 10.1016/j.cub.2015.07.049)
(Cell Press, 11.09.2015 – NPO)