Forscher haben die Ursache für den Tod des berühmten Eisbären Knut entdeckt: Das Tier litt an einer bisher nur von Menschen bekannten Autoimmun-Erkrankung. Diese löste eine Hirnentzündung und den epileptischen Anfall aus, durch den Knut 2011 starb. Das Tragische daran: Hätte man die Krankheitsursache zu Lebzeiten des Eisbären erkannt, hätte man ihn wahrscheinlich retten können, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.
Der 2006 im Berliner Zoo geborene Eisbär Knut war zu seinen Lebzeiten wahrscheinlich eines der berühmtesten Zootiere weltweit. Bilder des weißen, tapsigen Bären gingen um die Welt, jede Regung des Jungtieres wurde aufgezeichnet. Doch Knut war kein langes Leben beschieden: Schon 2011 starb er vor laufender Kamera, als er einen epileptischen Anfall erlitt und im Wasserbecken des Geheges ertrank. Untersuchungen des toten Tieres enthüllten schnell, dass Knut an einer Enzephalitis litt – einer Hirnentzündung. Sie löste den Krampfanfall aus und führte letztlich zum Tod des jungen Eisbären.
Ein Rätsel aber blieb: Was hatte die Enzephalitis verursacht? „Eine außergewöhnlich umfangreiche Suche nach infektiösen Erregern konnte keine Hinweise auf eine bakterielle, virale oder parasitische Ursache finden“, berichten Harald Prüß vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Berlin und seine Kollegen. Die Ursache für die Erkrankung des Eisbären blieb damit unbekannt.
Angriff aufs eigene Gehirn
Doch als der Neurologe Prüß den Autopsiebericht des Eisbären las, wurde er stutzig. Denn er entdeckte Parallelen zu eigenen Studien über menschliche Hirnerkrankungen. Die Symptome des kleinen Bären ähnelten denen einer Hirnentzündung, die durch einen Angriff des Immunsystems auf das eigene Zentralnervensystem entsteht. Immunzellen zerstören dabei bestimmte Andockstellen im Gehirn, die sogenannten NMDA-Rezeptoren.
Allerdings: Diese erst vor einigen Jahren entdeckte Autoimmun-Krankheit kannte man bisher nur von Menschen. Bei diesen löst sie zunächst Kopfschmerzen, Halluzinationen, psychotische Schübe und Selbstmordtendenzen aus, und führt dann zu epileptischen Anfällen, Bewegungsstörungen und Bewusstseinstrübung. „In den wenigen Jahren seit ihrer Entdeckung sind schon mehr als 1.000 Fälle dieser Anti-NMDAR-Enzephalitis beschrieben worden“, berichten die Forscher.
Antikörper im Eisbären-Hirn
Sollte auch der Eisbär Knut an dieser Autoimmun-Erkrankung des Gehirns gelitten haben? Um das zu klären, setzte sich Prüß mit Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Verbindung. Gemeinsam mit ihren Teams unterzogen die Forscher Proben von Knuts Gehirn einer erneuten Analyse.
Und tatsächlich: Im Gehirn des Eisbären entdeckten die Forscher anormal hohe Mengen von Antikörpern gegen den NMDA-Rezeptor – ein typisches Anzeichen für diesen Enzephalitis-Typ. Nähere Untersuchungen ergaben zudem, dass diese Andockstelle im Gehirn bei Eisbären genetisch mit der humanen Version nahezu identisch ist. Dies macht es wahrscheinlicher, dass die Autoimmun-Erkrankung auch diese Säugetiere – und möglicherweise noch weitere – betrifft.
Knut hätte überleben können
„Wir sind erleichtert, das Rätsel um Knuts Erkrankung endlich gelöst zu haben“, sagt Greenwood. „Zumal diese Erkenntnisse praktische Bedeutung haben könnten.“ Denn beim Menschen lässt sich die NMDAR-Enzephalitis relativ gut mit Medikamenten behandeln, wie die Forscher erklären. Um den fehlgeleiteten Angriff des Immunsystems zu stoppen, verabreicht man immundämpfende Mittel, darunter auch hochdosiertes Kortison. Beginnt man damit früh genug, lässt sich die Autoimmun-Krankheit damit stoppen.
„Wenn es gelingt, diese Therapien zu übertragen, könnten wir bei Zootieren möglicherweise Hirnentzündungen erfolgreich behandeln und Todesfälle vermeiden“, so Greenwood. Er und seine Kollegen vermuten, dass man auch Knut hätte retten können – wenn man damals schon gewusst hätte, worunter er leidet.
Auch beim Menschen häufiger als gedacht?
Doch die Lösung des Eisbären-Rätsels könnte auch für die Humanmedizin wichtig sein: „Möglichweise sind Autoimmunerkrankungen des Nervensystems bei Menschen und anderen Säugetieren weiter verbreitet als bisher angenommen“, meint Greenwood. Er und seine Kollegen halten es für sinnvoll, künftig bei Patienten mit unklaren Psychosen oder Gedächtnisstörungen gezielt auch nach auffälligen Antikörpern im Gehirn zu suchen.
„Zumal es neben der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis noch weitere Hirnerkrankungen gibt, für die fehlgeleitete Antikörper ebenfalls von Bedeutung sind“, kommentiert Prüß. (Scientific Reports, 2015; doi: 10.1038/srep12805)
(Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), 28.08.2015 – NPO)