Bloß kein Broccoli, und Fisch nur in Stäbchenform? Wenn Kinder beim Essen wählerisch sind, kann dies weitreichende Folgen haben: Einer US-Studie zufolge haben besonders wählerische Kinder ein doppelt so hohes Risiko, später unter Depressionen zu leiden. Schon bei mäßig ausgeprägtem Verhalten dieser Art halten die Forscher medizinische Beratung und Behandlung für angebracht. Auf die Ursachen einer solchen Essstörung müssten Ärzte dabei jedoch unbedingt eingehen, schreiben die Forscher im Journal „Pediatrics“.
Fast alle Eltern kennen das Problem, dass sich Kinder am Esstisch wählerisch benehmen: Mit Ausrufen wie „Das esse ich nicht!“ weigern sie sich standhaft, Gemüse mit bestimmter Farbe, bestimmte Fleischsorten oder einfach nur Unbekanntes zu essen. Der „Suppenkasper“ und sein schlimmes Ende sind sogar sprichwörtlich geworden. Nach Ansicht vieler Eltern handelt es sich dabei um eine Phase, die ihre Kinder durchleben und aus der sie schließlich auch wieder heraus wachsen.
„Es geht nicht um einfach nur zickige Kinder“
Glücklicherweise trifft dies in den meisten Fällen auch zu. Das wählerische Essverhalten kann aber auch zu weiteren schweren Problemen führen. „Die Frage für viele Eltern und Ärzte ist: Wann ist wählerisches Essen wirklich ein Problem?“ sagt Erstautorin Nancy Zucker vom Duke University Medical Center im US-Bundesstaat North Carolina. „Es geht hier nicht um einfach nur zickige Kinder, die ihren Broccoli nicht essen wollen.“
Zucker und ihre Kollegen haben das Essverhalten von über 900 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren untersucht. Bei 18 Prozent dieser Kinder attestierten die Mediziner ein mäßig wählerisches Verhalten, etwa drei Prozent bezeichneten sie als schwerwiegend wählerisch. „Dies sind Kinder, deren Essverhalten so eingeschränkt oder wählerisch ist, dass es anfängt, Probleme zu bereiten“, erklärt Zucker.
Symptome von Depressionen und Angststörungen
Diese Probleme können unterschiedliche Formen annehmen. Offensichtliche körperliche Folgen sind Unterernährung oder Mangelerscheinungen und damit auch eingeschränktes Wachstum. Noch tiefgreifender können jedoch die seelischen Belastungen reichen: Das gestörte Verhalten kann dazu führen, dass die Kinder nicht mehr ohne Probleme gemeinsam mit anderen essen können. Das Vertrauensverhältnis zu den Eltern leidet, und die Eltern fühlen sich hilflos und frustriert.
Der Studie zufolge kann sowohl mäßiges als auch schwerwiegendes wählerisches Essverhalten zu typischen Symptomen von Depressionen und Angststörungen führen. Folgeuntersuchungen zeigten, dass bei besonders wählerischen Kindern mehr als doppelt so häufig eine Depression diagnostiziert wurde als bei anderen Kindern. Mäßig und schwerwiegend wählerisches Essen seien selbst Symptome für eine erst vor kurzem neu eingeführte Diagnose namens „Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder“, in etwa „Vermeidend/restriktive Essstörung“, wie Zucker und Kollegen berichten.
Empfindliche Sinne oder schlechte Erfahrungen?
Auch wenn Kinder beim Essen nur mäßig wählerisch sind, sei darum bereits ein medizinisches Eingreifen gerechtfertigt, meinen die Forscher. Um die Gesundheit der Kinder zu schützen und um Konflikte zwischen Eltern und Kind zu vermeiden, seien jedoch dringend neue Behandlungsmethoden für solche Störungen notwendig. Ein Problem für Ärzte sei jedoch, dass sie oft den Hintergrund des Kindes nicht ausreichend kennen – das wählerische Benehmen des Kindes kann jedoch ganz unterschiedliche Ursachen haben.
Für ein Kind mit hochempfindlichen Sinnen etwa können manche alltägliche Aromen unerträglich stark und damit abstoßend oder sogar ekelerregend sein. Andere Kinder haben möglicherweise schlechte Erfahrungen mit einem bestimmten Essen gemacht und haben daher Angst, ähnliche Gerichte oder überhaupt irgendetwas Neues zu probieren. Hinzu kommt die Angst, möglicherweise von den Eltern dazu gezwungen zu werden.
Rechtzeitige Gegenmaßnahmen bei hohem Risiko
Solche Ängste könnten gezielt therapiert werden, etwa indem man dem angsterregenden Essen seinen Schrecken für die betroffenen Kinder nimmt. Für Kinder mit besonders empfindlichen Geruchs- oder Geschmackssinn seien jedoch andere Maßnahmen nötig. Außerdem müssten Behandlungen besser an das Alter der Kinder angepasst werden, meint Zucker.
Ein großer „Vorteil“ dieser Art von Essstörung sei jedoch, dass Eltern sie sich schon frühzeitig relativ leicht erkennen können. Dadurch ließen sich bei rechtzeitiger Behandlung auch möglicherweise folgende Angststörungen oder Depressionen verhindern, betont Zucker: „Es ist ein guter Weg, bei Kindern mit hohem Risiko rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen.“ (Pediatrics, 2015; doi: 10.1542/peds.2014-2386)
(Duke University Medical Center, 03.08.2015 – AKR)