Medizin

Gefahr durch „löchrige“ Impfstoffe?

Unvollständiger Schutz fördert die Entwicklung noch aggressiverer Viren

Blockiert ein Impfstoff nicht auch die Übertragung, kann dies zu aggressiveren Viren führen © CDC

Gefährliche Impfstoffe: Wenn ein Impfstoff zwar gegen die Krankheit schützt, aber nicht gegen eine weitere Übertragung des Virus, kann dies fatale Folgen haben. Denn solche „löchrigen“ Vakzinen fördern die Evolution noch aggressiverer Virenstämme, wie Forscher nun belegen. Diese Gefahr besteht beispielsweise bei in Asien gegen Vogelgrippe eingesetzten Impfstoffen. Die bei uns gängigen Schutzimpfungen haben diese fatale Lücke jedoch nicht, wie die Forscher im Fachmagazin „PLoS Biology“ berichten.

Ein perfekter Impfstoff erfüllt eine doppelte Funktion: Er verhindert das Krankwerden des Geimpften und blockiert gleichzeitig die Übertragung auf weitere Menschen. „Dies ist bei vielen Kinderimpfungen wie Masern, Polio, Mumps oder Röteln der Fall und generell bei fast allen beim Menschen eingesetzt Vakzinen“, erklärt Erstautor Andrew Read von der Pennsylvania State University. Solche Impfstoffe gehören daher zu den größten Errungenschaften der Medizin.

Wenn der Impfstoff „löchrig“ ist

Doch es gibt auch sogenannte löchrige Impfstoffe, darunter beispielsweise einige in China bei Geflügel eingesetzte Vakzinen gegen die Vogelgrippe. Diese hemmen die Viren im Körper der Infizierten zwar so stark, dass diese nur leicht oder gar nicht krank werden. Weil sie aber die Übertragung des Virus nicht verhindern, wird der Geimpfte im Extremfall zur wandelnden Virenschleuder.

Schon länger befürchten Mediziner deswegen, dass solche löchrigen Impfstoffe die Aggressivität von Viren mit der Zeit sogar erhöhen könnten. Denn normalerweise rotten sehr aggressive Erreger ihre Wirte so schnell aus, dass sie mit ihnen sterben und sich daher nicht lange halten. Doch wenn die Effekte der Infektion durch eine Impfung abgemildert werden, überleben mit den Wirten auch die Viren und können weitere Tiere oder Menschen befallen und sich weiter entwickeln.

Gefügelvirus als Modellfall

Wie groß die Gefahr einer solchen Verstärkung durch löchrige Impfstoffe ist, belegt nun eine Studie von Read und seinen Kollegen an dem Geflügelvirus, der die Marek-Krankheit auslöst. Dieser Erreger verursachte in den 1950er Jahren nur leichte Lähmungen bei den infizierten Tieren, heute jedoch gibt es weltweit fast nur hoch hochpathogene Stämme dieses Virus. Ein schon kurz nach der Geburt verabreichter „löchriger“ Impfstoff schützt zwar die Geflügelbestände, für ungeimpfte Tieren endet eine Infektion aber fast immer tödlich.

In Asien werden löchrige Impfstoffe gegen Vogelgrippe eingexsetzt, hier der Influenza-Stamm H7N9 © CDC

In ihrem Experiment haben die Forscher untersucht, wie stark infizierte, geimpfte Hühner dieses Virus weitergeben und welche Folgen dies für die angesteckten Vögel hat. Und tatsächlich: Der für die löchrigen Impfstoffe befürchtete Effekt – die aggressivsten Virenstämme überleben und werden weitergegeben – bewahrheitete sich an diesem Beispiel. Es ist damit der erste experimentelle Beleg für diesen fatalen Effekt. „Unsere Forschung demonstriert, dass löchrige Vakzine tatsächlich die Evolution von schlimmeren, ‚heißen‘ Virenstämmen fördern“, konstatiert Read.

Züchten wir uns tödliche Vogelgrippen?

Besorgnis weckt dies vor allem angesichts der Tatsache, dass in Asien schon seit längerem löchrige Impfstoffe gegen die in Geflügelbeständen grassierende Vogelgrippe eingesetzt werden. In Europa und den USA werden alle infizierten Vögel sofort gekeult, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern. Nicht aber in Asien: „Statt befallene Tiere zu töten, nutzen Bauern in Südostasien löchrige Impfstoffe – dadurch könnten sich noch aggressivere Vogelgrippe-Varianten entstehen“, erklärt Read.

Angesicht der Tatsache, dass schon mehrfach Vogelgrippe-Viren auf den Menschen übergesprungen sind, ist das keine sehr gute Nachricht. „Der aggressivste Stamm der aviären Influenza kann ungeimpfte Vögel in drei Tagen töten“, erklärt Read. „Eine ansteckende Krankheit, die so viele ungeimpfte Wirte tötet wie diese Geflügelviren haben wir Menschen noch nie erlebt.“ Aber wenn löchrige Impfstoffe in Zukunft vermehrt eingesetzt werden, könnte dies eines Tags doch passieren.

Ebola-Virus im Elektronenmikoskop © CDC

Probleme auch bei Malaria, HIV und Ebola

Das Problem betrifft auch Krankheiten jenseits der Vogelgrippe, wie die Forscher erklären. „Wir treten in eine Ära ein, in der wir Impfstoffe der nächsten Generation entwickeln, die löchrig sind – einfach weil sie gegen Krankheiten sind, gegen die sich schlechter eine starke natürliche Immunität aufbauen lässt – wie bei Malaria oder HIV“, sagt Read. In Tierversuchen zeigte sich bei Kandidaten für Malariaimpfstoffe bereits Anzeichen für eine erhöhte Pathogenität der Erreger nach Impfungen.

Auch bei Impfstoffen gegen Ebola ist nach Ansicht der Forscher erhöhte Wachsamkeit geboten. Zurzeit werden mehrere Vakzinen in klinischen Studien getestet. Hierbei sei es entscheidend, in diesen Tests zu prüfen, ob diese Impfstoffe auch die Übertragung des Ebola-Virus zwischen Menschen komplett unterbinden. „Wir wollen nicht, dass sich virale Krankheiten wie Ebola durch löchrige Impfstoffe in eine noch fatalere Richtung entwickeln“, warnt Read.

Warum gängige Impfungen erst recht ratsam sind

Diese Ergebnisse bedeuten jedoch nicht, dass gängige Schutzimpfungen gefährlich sind oder gar vermieden werden sollten – im Gegenteil, wie die Forscher betonen. Denn zum einen gehören die bisher beim Menschen eingesetzten Vakzine fast alle zu den nicht löchrigen Impfstoffen: Sie sind so effektiv, dass sie auch die Übertragung des Erregers vom Geimpften auf andere Personen verhindern.

Zum anderen ist man als nicht Geimpfter in jedem Fall besonders gefährdet: „Wenn es eine Evolution hin zu aggressiveren Virenstämmen gibt, sind es die Ungeimpften, die das größte Risiko tragen“, sagt Read. Denn sie sind ohne Schutz den diesen hochpathogenen Viren ausgesetzt. „Unsere Arbeit liefert starke Beweise dafür, wie wichtig es ist, geimpft zu sein“, betont der Forscher. (PloS Biology, 2015; doi: 10.1371/journal.pbio.1002198)

(Pennsylvania State University / PLOS, 28.07.2015 – NPO)

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