Wasserkraft mal anders: Ein lautlos fahrendes Mini-Auto, künstliche Muskeln und ein Motor, der eine LED leuchten lässt – sie alle laufen mit der Kraft der Verdunstung. Denn ihr Herzstück ist eine Maschine, die Unterschiede in der Luftfeuchtigkeit als Antrieb nutzt. Konstruiert wurde sie von US-Forschern, die auf diese Weise demonstrieren wollten, dass in der allgegenwärtigen Verdunstung eine große, ungenutzte Kraft steckt, wie sie im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Verdunstung ist ein allgegenwärtiges Phänomen, sie tritt überall da auf, wo Wasser ohne zu Kochen in den gasförmigen Zustand übergeht. Viele Pflanzen nutzen die Kraft der Verdunstung, um ihre Sporenkapseln oder Spaltöffnungen zu öffnen, Tropfen beginnen durch sie zu rollen und zu tanzen und auch im Mikrokosmos funktioniert diese Umwandlung in Bewegung. „Doch wenn man dieses Phänomen hochskalieren möchte, um auch makroskopische Geräte zu bauen, bringt dies eine Vielzahl von Problemen mit sich“, erklären Xi Chen von der Columbia University in New York und seine Kollegen.
Künstliche Muskeln
Bisher galt die Verdunstung als zu schwach und langsam, um sie in praktisch nutzen zu können. Den Forschern ist es nun jedoch gelungen, trotzdem makroskopische Verdunstungs-Maschinen zu konstruieren. Für ihre Experimente nutzen sie Sporen des Bacillus subtilis, die von Natur aus eine starke Reaktion auf Luftfeuchte-Änderungen zeigen: Wird ihre Umgebung feuchter, dehnen sie sich aus und werden flacher. Ist es dagegen trocken, ziehen sie sich zusammen und werden runder.
Diese Sporen trugen die Wissenschaftler auf einen dünnen Plastikfilm auf und übertrugen so die Bewegungen der Sporen auf einen größeren Maßstab. Mehrere solcher bis zu zehn Zentimeter langen Plastikstreifen kombinierten sie zu einer Art künstlichem Muskel, den sie „Hygroskopy Driven Artificial Muscles“ (HYDRA) tauften. Wird dieser abwechselnd feuchter oder trockener Luft ausgesetzt, zieht er sich stark zusammen oder dehnt sich aus. Die HYDRAs können dadurch noch Gewichte bewegen, die dem 50-Fachen ihres Eigengewichts entsprechen, wie Chen und seine Kollegen berichten.
Feuchtes Papier treibt Mini-Auto an
Diese HYDRAs dienten den Forschern als Grundbausteine für zwei verschiedene Verdunstungs-Maschinen. In der ersten Variante montierten Chen und seine Kollegen die Sporenstreifen auf ein Plexiglasrad. Dieses umschlossen sie zur Hälfte mit einem Gehäuse, das innen mit feuchtem Papier ausgekleidet war. Das Wasser verdunstete und setzt die Hälfte des Rades einer höheren Luftfeuchte aus. Dadurch dehnten sich dort die sporenbesetzen Plastikstreifen aus.
„Das erzeugt ein winziges Massenungleichgewicht, das das Rad in Bewegung versetzt“, erklärt Davis Goodnight von der Columbia University. Über ein Gummiband verbanden die Forscher nun diesen Rotationsmotor mit den Vorderrädern eines kleinen Mini-Autos. Und tatsächlich: Allein durch die Kraft der Verdunstung getrieben, bewegte sich das 100 Gramm schwere Gefährt fort.
Luftfeuchtigkeit bringt LEDs zum Leuchten
Über die Kraft der Verdunstung lässt sich aber auch Strom erzeugen, wie die Forscher mit ihrer zweiten Verdunstungs-Maschine belegen. Dafür hängten sie die sporenbesetzen Plastikstreifen waagerecht über einem kleinen Wasserbecken auf. Über eine Federkonstruktion koppelten sie die Streifen mit über ihnen liegenden Verschlussklappen. Sind diese Klappen geschlossen, steigt die Luftfeuchte in der Kammer und die HYDRA-Streifen dehnen sich aus. Das bewegt die Feder und öffnet die Klappen. Als Folge sinkt die Luftfeuchtigkeit in der Kammer und die HYDRAs ziehen sich wieder zusammen – die Klappen schließen sich erneut.
„Dadurch erzeugten wir einen Oszillator, der eine kolbenähnliche Bewegung durchführt“, so die Forscher. Bei einer Wassertemperatur von 31 Grad dauerte jeder Zyklus nur rund sechs Sekunden. „Diese relativ schnelle, kolbenähnliche Bewegung ermöglicht es dem Oszillator als Motor zu agieren und externe Systeme mit Strom zu versorgen“, erklären Chen und seine Kollegen. Verknüpften sie diesen Verdunstungs-Motor mit einem kleinen Generator, erzeugte er genügend Strom, um zwei LEDs zum Blinken zu bringen. Messungen ergaben, dass dieser Motor immerhin Leistungen von bis zu 60 Mikrowatt erbrachte.
„Ungenutzte Energie-Ressource“
„Unsere Demonstrationen unterstreichen die bisher übersehene Fähigkeit des Wassers in unserer Umwelt, nutzbare Leistungen zu erbringen“, konstatieren Chen und seine Kollegen. Angesichts der Allgegenwart der Verdunstung in der Natur und der geringen Kosten der benötigten Materialien könnten Verdunstungs-Maschinen durchaus sinnvolle Anwendungen finden, meinen die Forscher. Beispiele wären unter anderem ein Antrieb für robotische Systeme oder Sensoren. (Nature Communications, 2015: doi: 10.1038/ncomms8346)
(Nature, 17.06.2015 – NPO)