Neurobiologie

Sind die Menschen schlauer geworden?

IQ-Tests ergeben heute höhere Durchschnittswerte als noch vor hundert Jahren

Sind wir in den letzten hundert Jahren wirklich grundlegend schlauer geworden? © iStock.com

Schlauer statt dümmer: Die Menschen heute schneiden in IQ-Tests durchschnittlich besser ab als noch vor hundert Jahren, wie eine Studie zeigt. Immerhin um drei IQ-Punkte pro Jahrzehnt hat sich demnach die Intelligenz gesteigert. Ob dies aber bedeutet, dass die Menschheit generell schlauer geworden ist, bezweifeln selbst die Forscher. Sie sehen darin eher eine Steigerung der testspezifischen Fähigkeiten.

Der in speziellen Tests ermittelte Intelligenzquotient gilt meist als Maß der Intelligenz – ist aber nicht unumstritten. Denn die gängigen IQ-Tests fragen nur bestimmte Fähigkeiten ab, sind aber nach Ansicht vieler Neurowissenschaftler bei weitem nicht differenziert genug, um das komplexe Phänomen Intelligenz wirklich zu erfassen. Zudem hat sich herausgestellt, dass gerade der IQ von Jugendlichen im Laufe der Pubertät stark schwanken kann und daher nur bedingt aussagekräftig ist.

Dennoch gelten IQ-Tests zumindest als ein Anhaltspunkt dafür, welche kognitiven Fähigkeiten ein Mensch hat. Dabei werden die Tests ständig angepasst, denn die Ergebnisse haben sich im Laufe der Zeit verändert: Durch bessere Ernährung, Bildung und andere Umweltfaktoren steigen sie in den letzten Jahrzehnten in den Industrieländern an – dies wird als Flynn-Effekt bezeichnet. „Intelligenztests werden regelmäßig nachnormiert, um die Ergebnisse auf die durchschnittliche Soll-Leistung von 100 zu kalibrieren“, erklären Jakob Pietschnig und Martin Voracek von der Universität Wien.

100 Jahre und 30 IQ-Punkte mehr

Aber werden die Menschen deshalb wirklich intelligenter? Und um wie viel? Um das herauszufinden, werteten Pietschnig und Voracek die IQ-Daten von fast vier Millionen Menschen aus 31 Ländern und aus dem Zeitraum von 1909 bis 2013 aus. Dabei zeigte sich eine durchschnittliche IQ-Zunahme von drei IQ-Punkten pro Jahrzehnt – in den letzten hundert Jahren müsste die Intelligenz demnach um rund 30 IQ-Punkte zugenommen haben.

IQ-Tests fragen spezifische Fähigkeiten ab. Ob sie aber die gesamte Intelligenz erfassen, ist strittig. © iStock.com

Ein Teil dieser Zunahme ist dabei tatsächlich auf den Flynn-Effekt zurückzuführen, wie die Forscher berichten. Neben sozialen und wirtschaftlichen Verbesserungen spielt auch der immer schnellere Takt unserer Gesellschaft ihrer Meinung nach eine wichtige Rolle. Dafür spricht, dass der IQ-Zuwachs in schweren Zeiten, wie beispielsweise während des Zweiten Weltkriegs, ausblieb oder sich zumindest verlangsamte.

Wir sind nicht generell schlauer

Wie die Forscher betonen, bedeutet dies aber nicht, dass ein heutiger Mensch mit einem IQ von 100 dem eines Menschen mit einem IQ von 130 vor hundert Jahren entspricht. Oder anders ausgedrückt: Wir sind heute nicht generell schlauer. „Eine Person mit einer durchschnittlichen IQ-Testleistung von 100 Punkten im frühen 20. Jahrhundert hatte mit großer Wahrscheinlichkeit andere kognitive Fähigkeiten als eine Person mit einer scheinbar ‚äquivalenten‘ Leistung von 70 Punkten heutzutage“, meinen Pietschnig und Voracek.

Denn nicht ein Zuwachs von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, sondern gestiegene Leistungen in spezifischen Fähigkeiten erklären nach Ansicht der Forscher den Zuwachs bei IQ-Testleistungen. So sind wir heute einfach geübter darin, solche Tests zu absolvieren und die IQ-Tests kommen den heute besser trainierten Fähigkeiten besonders entgegen.

Auf dem Weg zur Stagnation?

Hinzu kommt: Der IQ steigt heute längst nicht mehr so schnell wie noch vor einigen Jahrzehnten, wie die Studie ergab. Möglicherweise kündigt sich sogar eine Stagnation im Intelligenzquotienten an, vermuten die Forscher. Das könnte daran liegen, dass die Umweltfaktoren, die bisher für den Zuwachs gesorgt haben, nun zumindest in den Industrieländern ihr Optimum erreicht haben. Selbst wenn sich hier noch mehr verbessern würde, wäre ihr Einfluss auf den IQ ausgereizt. „Zukünftige Forschung wird zeigen, ob wir ein Ende und vielleicht sogar eine Umkehr des Flynn-Effekts beobachten werden“, so Pietschnig und Voracek abschließend. (Perspectives on Psychological Science, 2015; doi: 10.1177/1745691615577701)

(Universität Wien, 01.06.2015 – NPO)

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