Ökologie

Verlust der Artenvielfalt durch Landnutzung

Menschliche Nutzung bedroht Ökosysteme an Fließgewässern stärker als der Klimawandel

Kleinlibellen sind typische Bewohner von Fließgewässern. © Senckenberg

Klimawandel zweitranging – das hört man nicht oft. Die Lebensräume an Fließgewässern sind jedoch viel stärker durch eine veränderte Landnutzung durch den Menschen bedroht als durch verändertes Klima, wie Modelle deutscher und chinesischer Forscher zeigen. Um die Artenvielfalt dieser empfindlichen Ökosysteme zu erhalten, sollte dieser Faktor darum in zukünftigen Schutzkonzepten neben dem Klimawandel stärker berücksichtigt werden, fordern die Wissenschaftler.

Flüsse und Bäche sind von der Quelle bis zur Mündung ständig in Bewegung und gehören zu den vielseitigsten Lebensräumen der Erde. Trotz ihrer relativ kleinen Fläche beherbergen diese Ökosysteme im naturnahen Zustand eine enorme Vielzahl verschiedenster Lebewesen: Insekten, Fische, Algen, Muscheln und Wasserflöhe sind nur einige der Bewohner fließender Gewässer. „Doch Fließgewässer sind auch gleichzeitig die gefährdetsten Ökosysteme weltweit“, warnt Mathias Kuemmerlen vom Forschungsinstitut Senckenberg in Gelnhausen. „Wie kein anderer Lebensraum reagieren Fließgewässer besonders sensibel auf Umweltveränderungen.“

Landnutzung wird oft unterschätzt

Besonders schwerwiegend sind menschengemachte Veränderungen: Durch den Klimawandel ändern sich auf der ganzen Welt Lebensräume, so dass Arten abwandern oder aussterben müssen. Eine weitere Gefahr ist die Landnutzung durch den Menschen. Werden Flüsse begradigt und die Ufer bebaut oder für die Landwirtschaft genutzt, gehen Lebensräume am Fließgewässer oft vollständig verloren. „Biodiversitätsverlust wird sehr häufig in Bezug auf den globalen Klimawandel untersucht. Weitere wichtige anthropogene Einflüsse auf die Umwelt – wie der Wandel der Landnutzung – werden dabei oft vernachlässigt“, sagt Sonja Jähnig vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.

Der Landnutzungswandel ist die größte Bedrohung für die Artenvielfalt in Fließgewässern. © Senckenberg

Um diese Effekte nicht nur zu verstehen, sondern auch in Zukunft besser abschätzen zu können, hat das Wissenschaftlerteam die Fließgewässer einer gut 1700 Quadratkilometer großen Region im Einzugsgebiet des Jangtsekiang-Flusses in Südchina untersucht. Anhand dieser Daten modellierten die Forscher je drei Szenarien für die Jahre 2021 und 2050: Die Änderung des Klimas, ein Wandel der Landnutzung und ein kombiniertes Klima- und Landnutzungswandel-Szenario. Darin berechneten sie die Effekte auf 72 Arten wirbelloser Tiere.

Verlust der Biodiversität um 20 Prozent

„Artenübergreifend lässt sich sagen, dass der Wandel der Landnutzung den stärksten negativen Effekt auf die Artenvielfalt in Fließgewässern hat – in diesem Modell nahm die lokale Biodiversität um 20 Prozent ab“, beschreibt Kuemmerlen. Die einzelnen untersuchten Organismen verhalten sich in den Modellen jedoch sehr unterschiedlich: „Es gibt in allen unseren Modellen ‚Verlierer‘ und ‚Gewinner‘, beim Landnutzungs-, so wie beim Klimawandel.“

So verliert die im Wasser lebende Steinfliegenart Togoperla beispielsweise im Zuge des Landnutzungswandels 85 Prozent ihres Verbreitungsgebietes und ist damit lokal vom Aussterben bedroht. Die Kleinlibellen der Art Protoneuridae dagegen gewinnen 9 Prozent potentiellen Lebensraum hinzu.

Klima und Landnutzung müssen berücksichtigt werden

„Fließgewässer stehen in einem sehr engen Zusammenhang mit der Landschaft im Einzugsgebiet“, erklärt Kuemmerlen. „Die Artengemeinschaft wird daher sehr stark von der Landnutzung beeinflusst.“ Verglichen damit wirkt sich der Klimawandel in den Modellen der Wissenschaftler eher zweitrangig auf die Biodiversität in Fließgewässern aus, doch auch beide Faktoren zusammen mindern die lokale Artenvielfalt deutlich. Darüber hinaus verändern sich die Verbreitungsgebiete vieler wirbelloser Tierarten.

Obwohl der Wandel der Landnutzung, beispielsweise die Rodung von Wäldern für die landwirtschaftliche Nutzung, die offensichtlichste Veränderung innerhalb eines Ökosystems ist, wird dieser Faktor laut Kuemmerlen bei der Entwicklung von Schutzkonzepten zu wenig berücksichtigt. „Um die Artenvielfalt zu erhalten, müssen sowohl Änderungen im globalen Klima als auch bei der Landnutzung berücksichtigt werden“, fasst er zusammen. (Freshwater Biology, 2015; doi: 10.1111/fwb.12580)

(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 13.05.2015 – AKR)

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