Schokolade als Röntgen-Patient: Mit Hightech-Methoden haben Forscher erstmals tief ins molekulare Innenleben der Schokolade geschaut. Die Röntgen-Analysen enthüllten, wie und warum die beliebte Süßigkeit manchmal einen unkleidsam weißlichen Überzug entwickelt, den sogenannten Fettreif. In Echtzeit konnten die Wissenschaftler unter anderem verfolgen, welche Rolle dabei flüssige Fettanteile der Schokolade spielen. Die Beobachtungen sollen helfen, dem Fettreif vorzubeugen.
Schokolade ist eine der beliebtesten Süßigkeiten überhaupt – und ein Forschungsobjekt. Denn Wissenschaftler versuchen nicht nur herauszufinden, was ihr ihr typisches Aroma verleiht, sie tüfteln auch an Schokoladen mit geringerem Fettgehalt oder experimentieren mit Lager- und Röstmethoden des Kakaos, um noch mehr gesunde Inhaltsstoffe in die süße Verführung zu bekommen.
Dem Fettreif auf der Spur
Jetzt hat es die Schokolade sogar in eine der Hightech-Forschungseinrichtungen unseres Landes gebracht: ins Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg. Dort durchleuchteten Svenja Reinke von der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) und ihre Kollegen Schokolade mit einer besonders energiereichen Röntgenlichtquelle, um einer häufigen, aber unbeliebten Veränderung an Schokoriegel und Co auf den Grund zu gehen: dem sogenannten Fettreif.
Typisch für den Fettreif sind weißliche, unregelmäßig geformte Ablagerungen auf der Schokoladenoberfläche. Sie bilden sich, wenn flüssiges Fett, beispielsweise aus der Kakaobutter, aus dem Inneren der Schokolade an die Oberfläche wandert und dort kristallisiert. Je länger die Schokolade liegt, desto wahrscheinlicher wird ein solcher Fettreif. „Der Fettreif ist zwar völlig harmlos, führt aber durch Ausschuss und Reklamationen zu Millionenschäden in der Lebensmittelindustrie“, sagt Reinke. Denn Schokolade mit diesem Makel erscheint alt und wird daher nicht mehr gekauft.
Schoko-Proben im Röntgenlicht
Mit Hilfe des Röntgens haben die Forscher nun die zugrundeliegenden Prozesse erstmals live beobachtet. Sie untersuchten dafür Mischungen verschiedener Schokoladenbestandteile, darunter Zucker mit Kakaobutter oder Milchpulver mit Kakaobutter. Diese Proben wurden zu einem feinen Pulver gemahlen und dann mit dem hellen Röntgenlicht durchleuchtet. Um die Fettmigration zu untersuchen, tropften die Forscher jeweils etwas Sonnenblumenöl auf ihre Proben und beobachteten die Folgen.
„Zum ersten Mal konnten wir die dynamischen Mechanismen, die zur Bildung des Fettreifs führen, im Detail direkt verfolgen“, erläutert DESY-Forscher Stephan Roth. Wie die Röntgenaufnahmen zeigten, verteilt sich flüssiges Fett sehr schnell selbst in den kleinsten Poren des Schokoladenpulvers. Kapillarkräfte fördern diese schnelle Wanderung wahrscheinlich, wie die Forscher berichten.
Zum anderen ändert das flüssige Fett die innere Struktur der Schokolade. „Das flüssige Fett löst über einen Zeitraum von Stunden weitere Fettkristalle auf, wodurch die gesamte Struktur der Schokolade weicher wird. Das erhöht wiederum die Fettmigration.“
Wertvolle Hinweise für bessere Schokolade
Diese Beobachtungen liefern der Lebensmittelindustrie konkrete Ansatzmöglichkeiten, um den Fettreif zu reduzieren. „Eine Konsequenz wäre beispielsweise, die Porosität der Schokolade bei der Herstellung zu begrenzen, damit das Fett langsamer wandert“, erläutert Reinke. „Eine weitere ist die Begrenzung des Flüssigkeitsanteils durch eine kühle, allerdings nicht zu kalte Lagerung. 18 Grad Celsius sind ideal.“
Darüber hinaus spielt die Kristallform in der Schokolade eine wichtige Rolle. „Kakaobutter kristallisiert in sechs verschiedenen Kristallformen“, erläutert Reinke. „Der Flüssiganteil hängt auch von der Kristallform ab.“ Auch über eine Kontrolle der Kristallisation können Hersteller daher die Fettreifbildung beeinflussen. (ACS Applied Materials and Interfaces, 2015; doi: 10.1021/acsami.5b02092)
(DESY, 06.05.2015 – NPO)