Geowissen

Atemnot im offenen Atlantik

Meeresforscher entdecken "Todeszonen" ohne Sauerstoff im freien Ozean

Die Todeszonen im tropischen Nordatlantik ähneln diesem vom Terra-Satelliten im Jahr 2011 fotografierten Wirbel (links im Bild). © Die Todeszonen im tropischen Nordatlantik ähneln diesem vom Terra-Satelliten im Jahr 2011 fotografierten Wirbel (links im Bild).

Kein Sauerstoff zum Atmen: Auch im offenen Atlantik gibt es nahezu sauerstofffreie Zonen. Sie liegen im Zentrum riesiger Strömungswirbel, wie ein internationales Forscherteam nun entdeckt hat. Solche „Todeszonen“ waren bislang nur vom Grund von Binnenmeeren wie der Ostsee bekannt – nahe der Oberfläche des tropischen Atlantik sind sie eine Überraschung. Wie die Regionen ohne Sauerstoff entstehen, beschreiben die Forscher im Fachjournal „Biogeosciences“.

Sauerstoff ist für die meisten Lebewesen auf unserem Planeten eine der Grundvoraussetzungen zum Überleben. Das gilt auch für Fische, die den im Wasser gelösten Sauerstoff aufnehmen. Wasser verhält sich jedoch anders als die Luft, die uns umgibt: Verschiedene Wasserschichten mit unterschiedlicher Temperatur und verschiedenem Sauerstoffgehalt vermischen sich oft nicht, sondern bleiben stabil geschichtet. Zudem trägt die Aktivität von Mikroorganismen zur Sauerstoffzehrung bei. In den tieferen Regionen der Ostsee, aber auch im Golf von Mexico kommt es dadurch zu sogenannten Todeszonen. Das Wasser am Grund ist so sauerstoffarm, dass außer einigen Mikroorganismen nichts mehr dort lebt.

Überraschung im tropischen Atlantik

Auch an den östlichen Rändern der tropischen Meere erstrecken sich in einigen hundert Metern Wassertiefe weite Gebiete, in denen deutlich niedrigere Sauerstoffkonzentrationen zu finden sind. In diesen sogenannten Sauerstoffminimumzonen (SMZ) ist die Konzentration war niedrig, reicht aber für die meisten Meeresbewohner völlig aus.

Unerwartet kam für Johannes Karstensen vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und seine Kollegen daher die Entdeckung einer extrem sauerstoffarmen Zone im offenen tropischen Nordatlantik, hunderte Kilometer entfernt von der afrikanischen Küste. Das Gebiet mit etwa der halben Fläche von Schleswig-Holstein liegt noch dazu dicht unter der Wasseroberfläche, nicht in der Tiefe.

Sauerstoffmangel im Riesenwirbel

Solche sauerstoffarmen Regionen entstehen offenbar in gigantischen Wirbeln von 100 bis 150 Kilometern Durchmesser, die in nahezu allen Gebieten des Weltozeans auftreten. „Es war uns zwar bekannt, dass sich vor der afrikanischen Küste große Wirbel bilden, die Richtung Westen über den Atlantik wandern“, erklärt Karstensen. „Wir waren aber sehr vom darin herrschenden Ausmaß der Sauerstoffarmut überrascht.“ Im Zentrum dieser Wirbel ist die Sauerstoffmenge bis zu 20 Mal niedriger als das bisher angenommene Minimum.

Sauerstoffarme Wirbel ziehen von der afrikanischen Küste westwärts über den tropischen Nordatlantik.© European Geosciences Union

Die Wissenschaftler entdeckten einen dieser sauerstoffarmen Wirbel an einer Langzeit-Messstation, dem „Cape Verde Ocean Observatory“ nördlich der Kapverdischen Inseln. Anschließend konnten sie mit verschiedenen modernen Messsystemen – darunter Satelliten und frei im Ozean treibenden Messsonden – mehrere Wirbel von ihrer Entstehung vor der Küste Afrikas bis westlich der Kapverdischen Inseln verfolgen.

Bakterien verbrauchen vorhandenen Sauerstoff

Wie sich zeigte, bilden sich die Wirbel, die die sauerstoffarmen Zonen beherbergen, aufgrund wechselnder Strömungsverhältnisse vor der westafrikanischen Küste. Sie weisen zunächst noch keine besonders niedrigen Sauerstoffkonzentrationen auf, sind aber reich an Nährstoffen. Das Sonnenlicht fördert unter diesen Bedingungen starkes Planktonwachstum. Das Plankton bildet einen dichten Teppich nahe der Oberfläche, der dann kaum mehr Licht in tiefere Schichten vordringen lässt.

Querschnitt durch einen Wirbel: Die Todeszone entsteht im Zentrum, in etwa 20 bis 100 Metern Tiefe. Weiße Linien zeigen Wasserschichten gleicher Dichte. Dieser vom Cape Verde Ocean Observatory vermessene Wirbel hat einen Durchmesser von 120 bis 140 Kilometern. © J. Karstensen/GEOMAR/Biogeosciences

Unterhalb dieses Planktonteppichs sinken abgestorbene organische Teilchen ab, die von Bakterien zersetzt werden. Dabei verbrauchen sie den vorhandenen Sauerstoff. Da zwischen den Wirbeln und dem umgebenden Ozeanwasser kaum Austausch stattfindet, findet auch keine Sauerstoffzufuhr von außen statt. „Das erklärt die extrem niedrigen Sauerstoffkonzentrationen in Oberflächennähe“, sagt Karstensen.

Selbst produzierte Sauerstoffarmut

Der Prozess ähnelt der Entstehung der Todeszonen in der Ostsee und anderen Binnengewässern. Im offenen Ozean war das Phänomen jedoch bislang unbekannt. „Wir haben jetzt den ersten Nachweis, dass diese Wirbel einen sauerstoffarmen bis sauerstofffreien Zustand selbst produzieren und diesen nicht einfach aus der Küstenregion in den offenen Ozean mitnehmen“, erklärt der Ozeanograph.

Letztendlich lösen sich die Wirbel auf dem Weg über den Atlantik auf und es findet eine Vermischung mit dem umgebenden Wasser statt. Welche Rolle die Wirbel für den gesamten Sauerstoffhaushalt des Nordatlantiks spielen, wie Organismen auf die sauerstoffarmen Zonen reagieren und was passiert, falls diese Wirbel mit einer Inselkette, beispielsweise den Kapverden, kollidieren, sollen weitere Untersuchungen zeigen. (doi: 10.5194/bg-12-1-2015)

(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel / European Geosciences Union, 30.04.2015 – AKR)

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