Eigentlich dürfte es sie nicht geben: Astronomen haben im Herzen der Milchstraße ein ungewöhnliches Phänomen entdeckt. Um junge Sterne rotieren dort 20 Staubscheiben, die durch die intensive Strahlung eigentlich längst verdampft sein müssten. Die Wissenschaftler rätseln nun, wie die Scheiben diese widrigen Bedingungen überstehen konnten – und ob es vielleicht sogar Planeten in diesen extremen Zonen gibt.
Beim Zentrum der Milchstraße handelt es sich um eine Art Kreißsaal: Dort entstehen aus Materiewolken besonders viele Sterne, die sich zu Haufen zusammenballen. „Quintuplet“ und „Arches“ heißen zwei dieser Sternansammlungen, die in den vergangenen Jahren in den Fokus von Astronomen rückten. Beide Sternhaufen sind wenige Millionen Jahre jung und enthalten Sterne mit mehr als 100 Sonnenmassen.
„Unmögliche“ Staubscheiben
„Eigentlich sollte die enorme Strahlungsenergie dieser Riesen das umgebende Gas- und Staub-Material ihrer kleineren Nachbarn binnen einer Million Jahre verdampfen“, sagt Studienleiterin Andrea Stolte vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. Doch als die Forscher diese Regionen mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile und dem Hubble-Weltraumteleskop im Infrarotlicht beobachteten, erlebten sie eine Überraschung.
Denn die Forscher entdeckten mehrere rotierende Staubscheiben, die die Sterne in „Quintuplet“ und „Arches“ umgeben. „In einer solch aggressiven Umgebung haben wir keine zirkumstellaren Scheiben erwartet, dennoch haben wir mehr als 20 Scheiben in jedem der beiden Haufen beobachtet“, sagt Stolte. Diese überraschende Entdeckung widerspreche den gängigen Theorien und deute darauf hin, dass es dort zu unbekannten Prozessen kommt.
Widerstandskraft oder Materie-Nachschub?
Die Wissenschaftler rätseln nun, wie es den rotierenden Scheiben gelingt, trotz des Höllenfeuers der Riesensterne in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu existieren. Aus Sicht der Astronomen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder haben die kreiselnden Staub- und Gasscheiben wider Erwarten die Widerstandskraft, die dort herrschenden unwirtlichen Bedingungen für mehrere Millionen Jahre zu überstehen.
Oder es gibt einen bislang unbeobachteten Mechanismus: In dem Maße, wie die Staub- und Gasscheiben durch die UV-Strahlung verdampfen, könnten enge Nachbarn Material in die Scheibe ihres kleineren Begleiters nachliefern. Stolte hält letztere Theorie für die wahrscheinlichere: „Wir kennen noch nicht alle Prozesse, die in diesen dicht besiedelten Sternhaufen ablaufen, aber der in anderen jungen Gebieten häufig beobachtete Massenfluss zwischen Doppelsternen könnte hierbei eine Rolle spielen.“
Gibt es dort Planeten?
Damit rückt ein weiteres Phänomen in den Mittelpunkt, das in diesen Zonen der Milchstraße bislang für unmöglich gehalten wurde: Wenn dort trotz aggressivster Bedingungen Scheiben aus Staub und Gas vorkommen, könnten dort theoretisch auch neue Planeten entstehen. „Wenn genug Material vorhanden ist – wer weiß?“, fragt Stolte. Das ist aber noch Spekulation.
So oder so – aus ihrer Sicht bietet das Zentrum der Milchstraße genug Anlässe für die Wissenschaft, zu weiteren neuen und überraschenden Erkenntnissen in der Astronomie zu gelangen. (Astronomy & Astrophysics, 2015; doi: 10.1051/0004-6361/201424132)
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 10.03.2015 – NPO)